Heft 
(1993) 55
Seite
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Wolfgang Paulsen: Das Ich im Spiegel der Sprache. Autobiographisches Schreiben in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. - Tübingen: Nie­meyer 1991. 264 S.

(Rez.: Paul I. Anderson, Aalen)

Leichtigkeit aus Tiefe

Die Sprache als Spiegel für das Ich - hat sie als solcher ausgedient? Wird die Freude am Fortspinnen von Geschichten an dessen Stelle treten? Oder wird es so ganz ohne das Ich vorerst nicht mehr gehen? Aber die Sprache muß ja nicht unbedingt als Spiegel fungieren. "(252) Einschmeichelnd, lesbar und direkt, meinungsfreudig und unautoritär endet Wolfgang Paulsens Überblick über die deutsche Autobiographie im 20. Jahrhundert gleichbleibend nachdenklich und unterhaltsam. Für die Literaturgeschichte bleibt die gewandte Schriftstellerei das einzig angemessene Medium, denn in ihr wird sie niemals austrocknen. Nur der mitschreibende-weil-mitdenkende Geist kann dem Gegenstand Litera­tur gerecht werden, weil er an ihr auch teilhat - und weil er seine Amtspflicht als Sprachlehrer niemals vernachlässigt. Und wenn er wirklich was taugt, wird er mit zunehmendem Alter immer tüchtiger. Die ganz Jungen müssen auf der Krücke der Theorie ihre ersten Schritte in diesem Beruf wagen; erst ab vierzig kann man in der Geisteswissenschaft festen Boden erspüren, die Lichtungen und Wege im Bücherwald erkennen und beschreiben. Und immer droht die Sisyphus-Arbeit des Unterrichtens, den Sinn für den Fortgang des Geistes abzutöten. Wolfgang Paulsen ist nicht nur ein begeisternder Dozent, sondern ein Mensch, der die schweren Wege nie gescheut hat, und daher als Germanist immer richtungsweisend war. An ihm illustriert sich die Befreiung des eistes vom Fluch der Sphinx, denn notfalls kann er das Rennen noch mit einem einzi­gen brauchbaren Finger machen...

Auf die Züge in Fontanes Erzählkunst, die ihn zum Wegbereiter der Moderne, noch mehr als zum letzten poetischen Realisten machen, haben vie e itera ur historiker hingewiesen - die Diesseitigkeit und das offenbare Engagemen am wirklichen, auch politischen Geschehen, statt Flucht in die Inner ic ei, i offene Betonung sozialer Problematik, statt Voraussetzung einer we ® rne Unabhängigkeit; eine ausmalende Phantasie, die nie Selbstzwec ist, un eine Sprache, die der tatsächlich gesprochenen zwar weit überlegen ist, je oc am Schul- oder Traditionsmaßstab gemessen, sondern an seiner a lg ' noch nicht Sagbare näher zu bringen. Dies gilt natürlich auc ur sein nis zum eigenen Ich und zu den Anderen auch. Aber wer a ,

Erkenntnis eine Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts vorge eg vor setzt man lieber bei Nietzsche an, und die Antwort auf das unschwer zu finden: bis in die dreißiger Jahre hinein bene en sic

in aller Welt auf dessen Vorbild, und sei es nur das sprachliche, wogegen Fon

tane schon bei Döblin als überlebt galt. Setzt man aber ei er, schon in

an, die aus näher zu überlegenden Gründen im frühen 2 . Ja r Verruf geriet - eine Frage, die Paulsen länger beschäftigt -, lehren sich die Ver Eältnisse um, denn das Ecce-Homo wendet keiner freiwillig au

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