Heft 
(1993) 56
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Was von mir giltdaß ich kein großer Politiker sondern nur ein passabler Bal­ladier sei" gilt mutatis mutandi- s 2 von Dir: Du hast die Sache zu lyrisch gemüthlich genommen. Weil Du über oder wenigstens außerhalb der Partheien stehst, kommen Dir diese Gegnerschaften wie eine Art Studenten-Ulk, wie ein harmloses Burschen-Duell vor worüber alle Welt lacht, dieLosgehenden" an der Spitze. Vielleicht hast Du Recht, vielleicht ist es nur eine Ehrpußlichkeits- Komödie die sich durch das ganze Leben zieht, aber man ist doch nun mal ver­loren, wenn man die Charakterrolle nicht gewissenhaft durchspielt. Wenigstens der gute Wille dazu muß da sein; der stumbling block 3 pflegt nicht auszublei­ben, aber es ist wenigstens nicht klug sich den Stein vorsorglich in den Weg zu rollen, um dann schließlich drüber zu stolpern.

Daß ich Dir so schreiben würde hast Du seit 2 Tagen wohl schon erwartet; mein Brief vom Donnerstag 4 konnte Dir darüber keinen Zweifel lassen. Es liegt mir nicht im geringsten daran, mich mit denneuen Leuten" zu stellen, alles was dahin abzielt, find' ich dumm und verächtlich. Nicht als ob ich gegen die Per­sonen und ihre Prinzipien irgend etwas hätte, gegentheils, wenn meine letzten 8 Jahre eine völlig normale d.h. in meiner Natur begründete Entwicklung genommen hätten, würd' ich sehr wahrscheinlich auf der Seite der jetzt herr­schenden Parthei stehn; ihr wißt das alle; Zeuge und Beweis dafür ist nament­lich das euch bekannte Gedicht, das ich im Jahre 1849 an den Grafen Schwerin 5 richtete und wofür er sich beiläufig bemerkt nicht einmal bei mir bedankt hat. Die Gesinnung aus der heraus, Front machend gegen Absolutismus und Demokratenthum, damals jenes Gedicht entstanden ist, erfüllt mich noch; das Leben und die Verhältnisse aber haben mich zu einer andern Parthei, richtiger wohl zu einer andern Nüance der [eingefügt: großen] antiabsolutistischen Part­hei hinübergeführt und nachdem ich 8 Jahre lang bei derselben gestanden habe, hab' ich nicht Lust, nachdem sich der Wind gedreht hat, dieselbe plötz­lich im Stich zu lassen. Ich würde das selbst dann nicht thun, wenn ich die alte Wir- thschaft unbedingt haßte und die neue unbedingt verehrte. So liegt die Sache aber keineswegs; die neue Regierung hat noch nichts gethan, soll erst zeigen ob sie's besser zu machen versteht und ein Enthusismus, der vor mir selber [eingefügt: wenigstens] die Fahnenflüchtigkeit rechtfertigen würde, dürfte [eingefügt: als­bald vielleicht] auf ein Schauerbad stoßen, das wenig von ihm übrig läßt. Wer dann von Alters her der Parthei angehörte, der geht mit Recht, ohne sonderli­ches Grämen, durch all die verschiednen Phasen und Ernüchterungs-Prozesse durch; der aber ist schlimm [gestrichen: durch] dran, der voll Vertrauen aus [eingefügt: einem] andren [gestrichen: Seite] Lager herüberkam und nun wahr­nehmen muß, daß er den guten Ruf der Treue, Zuverlässigkeit und Conse- quenz um nichts geopfert hat. Darum ausharren an dem Platze, wo man mal steht! Haben sich im Lauf der Jahre die Ecken abgeschliffen, so finden sich von selber friedliche und selbst freundschaftliche Berührungspunkte. - Ich habe über diesen Punkt so ausführlich geschrieben, damit ihr alle wißt, woran ihr mit mir seid. Diese Ansichten sind bei mir nicht von allemeustem Datum; ein Brief den ich der Frau v. Merckel 6 zu ihrem Geburtstag geschrieben habe, äußert sich an betreffender Stelle ganz in derselben Weise. Wenn vielleicht etwas milder, so liegt das daran, daß damals noch nicht vorauszusehen war, wie scharf der Bruch sein würde. Die einliegenden Zeilen hast Du wohl die

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