Beginn jenes Jahres erworben haben. Wie weit die Lektüre Fontanes in die Vergangenheit reicht, ist nicht bekannt, da es hierfür, soweit ich sehe, keine entsprechenden früheren Dokumente Manns gibt.
Die Bewunderung, ja Begeisterung für Fontane ist so groß, daß Mann unfähig scheint, das literarisch Erlebte, Erfahrene rational zu durchdringen. „[...] seine Gedichte. Herrgott sind die schön!" Und über Quitt heißt es: „ein Buch, so schön, daß ich kein Urteil herausbringe vor Entzücken." 12 Fragt man nach den Perspektiven der Einschätzung Fontanes durch Heinrich Mann, wie sie sich zum Teil in Nebensätzen oder zwischen den Zeilen artikuliert, so ergibt sich folgendes Bild: Für Mann zählt Fontane zur neueren, modernen Literatur. Trotz des Alters von 70 Jahren gehöre er zu den „jungen Decadents"; er schildere die „Seelenzustände", wie es für die moderne Literatur charakteristisch sei, und verstehe es, delikate gesellschaftliche Verhältnisse äußerst feinfühlig zu gestalten n (L'Adultera, Irrungen Wirrungen) . Heinrich Mann erkennt, daß die Figure bei Fontane durch innere und äußere Umstände determiniert sind und nicht anders handeln können, als sie handeln. Fontane enthalte sich der tendenziösen Parteinahme und reproduziere die Welt so, wie sie sei. Für seine Darstellungsweise sei es bezeichnend, daß seine Erzählungen zum Zuständlichen neigen und nur eine geringfügige Handlung besäßen. Auch ist Mann besonders von der Art der „Naturschilderung" bei Fontane beeindruckt.
Schon der junge Heinrich Mann verkündet 1890 euphorisch und prophetisch, daß der Name Fontanes „fortleben wird, wenn die Namen der jetzigen Politiker längst erbarmungslos vergessen sind..." 13 .
In diesem Punkt, der Verehrung Theodor Fontanes und seiner Kunst, sind sich die Brüder Heinrich und Thomas einig. Fast mehr noch als für Heinrich stellt Fontane für Thomas Mann eine literarische Vaterfigur dar, an der er zeitlebens festgehalten hat. 1910 zum Beispiel schreibt Thomas Mann: „Unendliche Liebe, unendliche Sympathie und Dankbarkeit, ein Gefühl tiefer Verwandtschaft [...], ein unmittelbares und instinktmäßiges Entzücken, eine unmittelbare Erheite- rung, Erwärmung, Befriedigung bei jedem Vers, jeder Briefzeile, jedem Dialogfetzen von ihm, - das ist [...] mein Verhältnis zu Theodor Fontane.- "1 4 Wer Fon tane als erster für sich entdeckte, Heinrich oder Thomas, ist schwer zu ent- scheiden, da über diesen frühen Zeitraum ihrer literarischen Entwicklung die Quellen schweigen. Denkbar ist, daß hier der ältere Bruder voranging und bereits 1888/89 Fontane kennenlernte (als 17-Jähriger also), während der (erst 13-jährige) Bruder etwas später in diesen Lektürespuren gefolgt sein dürfte, Eben dieser siebzehnjährige Heinrich Mann skizziert eine Erzählung, die Ent- wurf bleibt, aber für unsere Fragestellung von großer Bedeutung ist, weil sie eine stark an Fontane erinnernde Erzählsituation entwickelt. Sie trägt noch kei- nen Titel und sei deshalb mit ihrem Eingangssatz identifiziert: „Habt Ihr die skandalöse Geschichte von der X. gehört?t "1 5 Um die Familientafel sind ach Familienmitglieder zu einem Mahl versammelt und unterhalten sich über den Fehltritt der Sängerin X., die, bildlich gesprochen, gleichsam auf dem Tisch liegt und moralisch seziert wird. In der Skizze Manns kommt es indes noch nicht zu ausgeführten Gesprächspartien, es werden vornehmlich die Einstellungen der Figuren charakterisiert und ansatzweise einige ihrer Äußerungen vermittelt. Daß es sich jedoch um ein Gespräch handelt, das den Kern der
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