Heft 
(1993) 56
Seite
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Straaten saß zwischen Schwägerin und Frau, ihm gegenüber der Major, von Gabler und Elimar [den Künstlern, P.H.] flankiert, an den Schmalseiten aber Polizeirat Reiff und Legationsrat Duquede8 .1

Das Achterensemble dieses bürgerlich-bourgeoisen Zirkels ist im Unterschied zu Heinrich Manns Tafelrunde über den Kreis der Familie hinaus um die eng­sten Freunde erweitert. Dadurch wird das folgende Gespräch perspektivenrei­cher und möglicherweise interessanter. Die einzelnen Figuren gehören ver­schiedenen gesellschaftlichen Kreisen an, deren Standpunkte sie im Gespräch zur Geltung bringen: Wirtschaft, Militär, Staat, Kunst (dazu die Frauen, die in der Regel gesellschaftlich als Anhängsel ihrer männlichen Partner agieren). Zunächst im Plauderton, dann mit steigenden Spannungen, die bis zu starken Mißtönen führen, wird über eine ganze Palette von Gegenständen parliert: Kriegsgefahr, Bismarck, Kunst (Wagner) usw. Zwischen den Repliken der Figu­ren werden zusammenfassende und wertende Partien des Erzählers eingefügt, der auch deutliche Ironie-Signale setzt, die jedoch meist den redenden Perso­nen in den Mund gelegt werden. Das ganze Gespräch weist bestimmte Struktu­ren auf, die genau nachzuzeichnen, hier aber zuweit führen würde. Nur soviel sei gesagt, daß nach einer Phase, in der die alte Heiterkeit anscheinend wieder hergestellt ist, im sechsten Kapitel (Auf dem Heimweg") das für Fontane so bezeichnende Nachgespräch zwischen einigen Figuren folgt, in dem das Geschehen noch einmal reflektiert und resümiert wird. - Solche und ähnliche Gesprächsstrukturen sind für Fontanes Romane typisch. Sie begegnen in der Regel in allen seinen Gesellschaftsromanen bis hin zum Stechlin.

Man wird sagen können, daß zwischen Fontanes Erzählweise in L'Adultera und Manns frühen, tastenden Versuchen, ein Erzählkonzept zu entwickeln, gewisse Verwandtschaften in der Gestaltungsweise beider Autoren nicht zu leugnen sind. Über mögliche Qualitätsunterschiede der Texte beider Autoren ist hier nicht zu befinden, da Heinrich Manns Gesellschaftsszene nur skizzenhaft über­liefert ist. Wichtig ist jedoch, daß man über Ähnlichkeiten von Einzelaspekten hinaus, die zufälliger Natur sein können 19 , das Verwandte im Grundsätzlichen ihrer Erzählprinzipien erkennt. Neben den Entsprechungen beider Texte ist aber tendenziell auch das Trennende deutlich. Die gesellschaftliche Vergröße­rung des Gesprächskreises bei Fontane über die Familie hinaus garantiert einen größeren Perspektivenreichtum und eine andere Qualität des Gesprächs, und die Gegenstände der Konversation sind nicht der Sphäre 'kleinbürgerlichen' Klatsches, sondern der 'großen' Welt entnommen, sind weitläufig.

Zehn Jahre später, 1898, verfaßte und veröffentlichte Heinrich Mann in der Sammlung Ein Verbrechen und andere Geschichten die Erzählung Doktor Biebers Versuchung,eine gesellschaftliche, genauer: sozialkritische Studie" 20 , die als Prototyp der Gesellschaftsnovelle Heinrich Manns der neunziger Jahre gelten kann und ein kleines novellistisches Meisterwerk des jungen Autors ist. Die Anschaulichkeit und Glaubwürdigkeit des geschilderten Sanatoriummilieus resultiert aus dem Umstand, daß Heinrich Mann selbst 1893 zwei Monate in Riva am Gardasee in einer Heilanstalt mit neuralgischen Beschwerden zubrachte und dabei hinlänglich Gelegenheit für Gesellschaftsstudien dieser

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