war. „Gestern habe ich Ihren kleinen Artikel in der Vossin über den wunderbaren und auch wieder nicht wunderbaren Einfluß Nietzsches auf unsre Reservelieutenants und die die's werden wollen, gelesen." Mit diesem Satz geht Fontane medias in res. Es dränge ihn, fährt er fort, Paulsen „ aus vollem Herzen dafür zu danken". Er könne sich nicht entsinnen, „in einer Kritik oder einem Essay jemals eine Stelle von gleicher Wirkung auf mich gelesen zu haben. Es ist, wuchtig und elegant zugleich - die Hinrichtung des Borussismus...”.
Paulsen hat diesen Brief Fontanes als „merkwürdig" bezeichnet. 4 Wer die Rezension nicht kennt, muß in der Tat eine völlig falsche Vorstellung davon bekommen und annehmen, Paulsen habe wirklich den „Einfluß Nietzsches... auf unsere Reserveleutnants... dargestellt" 5 . „Zwei eben erschienene kleine Schriften", so beginnt Paulsens Rezension, „die ich beide der Beachtung für werth halte, zeigen, daß das Interesse für den merkwürdigen Mann, dem sie gelten, noch nicht im Abnehmen begriffen ist: eine Studie von dem Philosophen Ferd. Tönnies 'Der Nietzsche-Kultus' (Leipzig, Reisland, 1897,114 S.) und ein Vortrag von dem Theologen J. Kaftan 'Das Christenthum und Nietzsches Herrenmoral' (Berlin, Nauck, 1897, 24 S.). Beide Schriften stammen aus intimer Kenntniß, beide sind nicht ohne eine gewisse persönliche Sympathie mit dem Menschen und dem Denker, beide sind doch im Ton der Warnung gehalten. Ich möchte beide namentlich jugendlichen Lesern Nietzsches dringend empfehlen. Sie rufen ihnen zu: Lest und genießt, aber... vergeßt nicht der Kritik! Ihr habt es mit einem Schriftsteller zu thun, der selber an sich keine Kritik übt, der jedem Einfall rückhaltlos nachgiebt, ihn mit der Phantasie vor sich hertreibt und übertreibt, freilich um ihn zuletzt wieder wegzuwerfen, einem Schriftsteller, dem Witz und Pathos, Klarheit und Tiefsinn, plastische Kraft und Gewalt der Sprache in gleichem Maße zu Gebote stehen. Lest, aber laßt euch nicht berauschen. Es ist ein Mann, der sich durch nichts gebunden fühlt; er hat vor nichts Respekt..."
Die ganze Rezension macht deutlich: Hier spricht ein Pädagoge, der Heranwachsende vor verderblichem Einfluß warnen und bewahren möchte. Darin ist er sich einig mit den Verfassern der Schriften, die er bespricht. Und obschon beide Autoren zu Paulsens engen persönlichen Freunden zählen, handelt es sich durchaus nicht um eine Gefälligkeitsrezension.
Ferdinand Tönnies (1855-1936) war, wie Paulsen, Schleswig-Holsteiner. Als er im Wintersemester 1875/76 nach Berlin kam, schloß er sich dem Älteren an. „Paulsens Einfluß auf mich", heißt es in autobiographischen Aufzeichnungen von Tönnies, „ist von Anfang an bedeutend gewesen. Seine Begeisterung für Lassalle, die damals lebhaft war, teilte sich mir freilich nur in schwächerer Dosierung mit; auch der Eifer, womit er unter dem Einflüsse John Stuart Mills für den Malthusianismus sich aussprach, hat kaum auf mich abgefärbt. Aber seine Gesichtspunkte für die Geschichte der Philosophie, seine naturwissenschaftlichen und historischen Kenntnisse, mehr aber noch seine von lauterem Wahrheitssinn und von sozialer Gesinnung erfüllte Persönlichkeit hinterließ in mir tiefe und fruchtbare Wirkungen." Und weiter: „Ich verkehrte sehr oft in seinem jungen Haushalte, und viele Spaziergänge, in Berlins Straßen und außerhalb, brachten endlose Gespräche teils über philosophische, teils über
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