politische und soziale Probleme, in denen wir unsere recht radikalen, also kei- nesweg regierungsfreundlichen Gedanken miteinander austauschten." 6 Tönnies' Buch „Gemeinschaft und Gesellschaft", das im Sommer 1887 mit dem Untertitel „Abhandlung des Communismus und des Socialismus als empirischer Culturformen" herauskam und den Namen seines Verfassers rasch bekannt machte, war Friedrich Paulsen gewidmet.
In den Sommerferien des Jahres 1873 hatte Tönnies „in seiner alten Husumi- schen Schulbibliothek" Nietzsches Schrift „Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik" entdeckt; er las sie „mit Genuß, ja beinahe mit dem Gefühl einer Offenbarung". Wenig später stieß er auf die ersten beiden „Unzeitgemäßen Betrachtungen". Seitdem hat er sich „jedes Nietzsche-Werk gleich nach Erscheinen... zu eigen gemacht, wenn auch mit allmählich abnehmender Begeisterung". 7 Als er sich 1883 in der Schweiz aufhielt, zusammen mit Lou Salome und Paul Ree, Nietzsches einstigen Freunden, mit denen der Philosoph jedoch seit kurzem zerstritten war, ist er ihm zwar begegnet, ohne jedoch seine persönliche Bekanntschaft zu machen. Und als er ihn einmal in Naumburg besuchen wollte, traf er nur die Mutter an. Bald aber war Tönnies' Nietzsche- Enthusiasmus vorbei; bei der Lektüre von „Also sprach Zarathustra" kamen ihm „das Pathos und die Salbung darin... etwas komisch vor". 8 In der Schrift „Der Nietzsche-Kultus" - sie beruhte auf „Vorträgen in einem Privathause" 9 , war seinen Freunden Ernst und Karl Storm, zwei Söhnen des Dichters, gewidmet und trug als Motto sieben Verse aus Theodor Storms Gedicht „Nach Reisegesprächen" - weist er gleich zu Beginn darauf hin, daß „Nietzsches Meinungen und Irrungen, deren Kultus diese Schrift kritisieren will", für ihn „die Bedeutung einer persönlichen Angelegenheit" hätten. Er habe „für diesen Autor geschwärmt, zu einer Zeit, als (außerhalb einer engen Gemeinde) fast niemand ihn kannte". Doch dann fährt er fort: „Ich... habe der jüngsten Entwicklung Nietzsches... mit Mißtrauen und Besorgnis gegenübergestanden, obschon ich der Bewunderung für seine nun entfalteten rhetorisch-poetischen Talente mich nicht erwehren konnte, und obgleich die 'ewige Wiederkunft' als Offenbarung meiner eigenen Gedanken eine Art von Jubel in mir erweckte. - Ihrem überwiegenden Inhalte nach zeigen aber diese letzten Schriften das häßliche Bild verzerrter Mienen, oft die Attitüde des Trunkenen, Überspannten, Verzweifelnden... des Dekadenten." Doch wundere es ihn nicht, „wenn diese Sachen auf jugendliche Gemüter starken Eindruck machen", denn es sei „der Zauber eines mächtigen Geistes darin. Ihm, Tönnies, aber gehe es darum, „zur Vorsicht aufzurufen, zur Besonnenheit und
Nüchternheit".
Am Schluß resümiert Tönnies: Als „System" seien Nietzsches Lehren „nichts". „Das System ist nur ein Hexensabbat von Gedanken, Ex- und Deklamationen, von Wutausbrüchen und widerspruchsvollen Behauptungen, dazwischen viele Geistesblitze leuchtend und blendend. Ernst und wichtig mögen diese Lehren genommen werden, insofern sie geeignet sind, unbesonnenen, unkritischen Lesern die Köpfe zu verwirren und zu verdrehen - sie können in der That berauschend und betäubend wirken im schlimmsten Sinne."
An Tönnies' Kritik knüpft Paulsen in seiner Rezension an; doch er geht noch einen Schritt weiter und fragt, wie es denn komme, „daß Jungdeutschland
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