dete Publikum nicht zugänglich und genießbar. In jugendlichen Köpfen können und werden sie viel Unheil anrichten."
Der lange Exkurs war nötig, um Fontanes Reaktion auf Paulsens Rezension in der „Vossischen Zeitung" zu verstehen - obwohl er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Schriften von Tönnies und Kaftan nicht und nach eigenem Eingeständnis von Nietzsche nur wenig kannte. 10 In der Tat findet sich der Ausdruck „Umwertung", durchweg zustimmend und meist mit einem Hinweis auf Nietzsche gebraucht, als bloßes Schlagwort wiederholt in seiner Korrespondenz und auch im neunten Kapitel des „Stechlin" ; und wenn später, im dreiunddreißigsten Kapitel, Dubslav von Stechlin ebenfalls über einen zentralen Nietzscheschen Ausdruck reflektiert, so ist auch dies nicht viel mehr als ein Wortspiel („Übermenschen"/„Untermenschen"). Um nicht mehr als die Zitierung eines Titels - „jenseits von gut und böse" - handelt es sich in Fontanes Brief an Georg Friedlaender vom 12. September 1891, der geschrieben wurde, als eben die zweite Auflage der Nietzsche-Schrift erschienen war. Und eine Bemerkung, die Fontane am 9. August 1895 gegenüber seiner Tochter machte - das Nietzsche-Wort vom „ Herdenvieh" sei „leider wahr" -, spricht auch nicht gerade für eine intensive Nietzsche-Lektüre. Der Ausdruck kommt nämlich, soviel ich sehe, bei Nietzsche gar nicht vor; bei ihm ist die Rede vom Herdentier und (vereinzelt) vom Herdenschaf oder vom Herdenmenschen, ferner von Herdenglück, Herdeninstinkt, Herdenmoral u.ä. 11 Dennoch muß Fontane mehr über Nietzsche, vor allem aber über die Wirkung seiner Schriften auf junge Leute gewußt haben, als die Briefe vermuten lassen. Im Licht der zitierten Zeugnisse kann es nur auf den ersten Blick befremdlich erscheinen, daß er Paulsens Rezension versteht als einen „Artikel... über den... Einfluß Nietzsches auf unsre Reservelieutenants und die, die's werden wollen". Natürlich hatte Paulsen nichts mit der Ausbildung preußischer Reserveoffiziersanwärter zu tun, und Fontane wußte das zweifellos auch ganz genau. Doch eben jene Gruppe der deutschen Jugend, die Tönnies, Kaftan und Paulsen vor Nietzsches „Lehre" zu warnen versuchten, bildete das Reservoir für künftige Reserveoffiziere. Offensichtlich wußte Fontane über den geistigen Habitus preußisch-deutscher Reserveoffiziere „und solcher, die es werden wollten", einigermaßen Bescheid. In seinem Bekanntenkreis mag er manches erfahren und beobachtet haben, vielleicht hat ihm auch sein Sohn Theo Einschlägiges erzählt, denn der war damals Beamter bei der Heeresintendantur. Und wenn Fontane den Nietzsche-Kult mit dem „Preußentum" in Verbindung bringt und Paulsens Rezension als „die Hinrichtung des Borussismus" versteht, dann bezieht er sich auf dessen Analyse der Ursachen für das Entstehen dieses Kultes in der gegen die preußischen Erziehungsmethoden verworren und ziellos rebellierenden Jugend.
Fontane, so scheint es, ging es in seinem Dankschreiben an Paulsen für dessen Artikel eigentlich gar nicht so sehr um Nietzsche als um „die Hinrichtung des Borussismus", die der Rezensent seiner Meinung nach vorgenommen hatte, als er die Ursachen für die Verführungspotenz von Nietzsches Philosophieren auf die junge Generation beschrieb und analysierte. Nur so ist auch Fontanes "Wunsch" zu verstehen, Paulsen möge seinerseits „ eine Widerlegung dazu schrei-
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