ben..., aber nur, um im unmittelbaren Anschluß daran... diese Widerlegung zu widerlegen". Paulsen hat denn auch begriffen, daß Fontane aus seiner Nietzsche-Kritik eine Preußen-Kritik herausgelesen hatte. „Merkwürdig", schrieb er am 3. April 1897 an Tönnies, „wie deutlich in diesem Bewunderer des Preußentums auch die Empfindung von seiner Grenze." Dabei bezog er sich expressis verbis auf Fontanes Storm-Essay, der im Mai 1896 als Vorabdruck aus der Autobiographie „Von Zwanzig bis Dreißig" in der „Deutschen Rundschau" gestanden hatte. Darin kommt gleich zu Beginn das ambivalente Verhältnis des Verfassers - Paulsen spricht von „Gegensatz" und „Sympathie" - zum Preußen- und Berli- nertum bei der Darstellung von Storms Polemik gegen das „Berliner Wesen" zum Ausdruck.
Daß Paulsen in diesem Brief das Thema Nietzsche, mit Bezug auf Fontane, nicht weiter verfolgt, sondern auf Storm zu sprechen kommt, hat nichts zu tun mit einem willkürlichen Gedankensprung, denn beide, Paulsen wie Tönnies, waren begeisterte Anhänger und Verehrer des Husumer Dichters, ihres Landsmanns. Paulsen muß sich, nach der Lektüre der erwähnten Fontaneschen Autobiographie, auch Fontane gegenüber zu dem Storm-Kapitel geäußert haben, denn der Autor erwiderte ihm am 13. Juli 1898: „Allem, was Sie über Storm sagen, kann ich gern zustimmen...". Ob sich das auch auf die Preußen-Kritik des Husumers bezog, ist nicht auszumachen; Storms bürgerliches Selbstwertgefühl (im Umgang mit dem preußischen Adel) aber betraf es auf jeden Fall, wie aus dem folgenden Brieftext hervorgeht. Erst jetzt, in seinen „ganz alten Tagen", gesteht Fontane Paulsen, sei er „zu zwei traurigen Überzeugungen gekommen: man muß jeden Versuch, sich unsren Adel (denn es paßt nur auf unsren) durch Freimut erobern zu wollen, aufgeben, und man darf zweitens von keinem Menschen in der Welt etwas annehmen". Mit Nietzsche und Nietzsche-Kult hat das freilich nichts zu tun; es beweist jedoch, wie sehr der alte Fontane bereit war, sich gegenüber dem jüngeren Briefpartner nicht nur freimütig, sondern auch selbstkritisch über Fragen zu äußern, die ihn zeit seines Lebens beschäftigt hatten.
3. Antisemitismus
Vierzehn Monate nach jenem Brief über Nietzsche und „die Hinrichtung des Borussismus" , am 12. Mai 1898, bezieht sich Fontane abermals auf eine Rezension Paulsens, diesmal aus der „Deutschen Literaturzeitung" vom 14. Mai, die der Verleger Wilhelm Hertz ihm vorab zugesandt hatte. Paulsen hatte diesmal in eigener Sache das Wort genommen, wie schon aus den Titeln der besprochenen Schriften - beide sind 1897 erschienen - hervorgeht: „Offener Brief an Herrn Professor Friedrich Paulsen" von Emil Lehmann und „Professor Paulsen und die Judenfrage" von Gustav Levinstein. Den Streitpunkt hat Paulsen zu Beginn seines Artikels beschrieben: „Ich habe in meinem 'System der Ehtik', wo ich von dem Verhältnis der Nationalität zum Staat handle, auch die Judenfrage und den Antisemitismus berührt. Ich habe versucht, die Entstehung der Judenfrage aus den Zeitverhältnissen zu erklären und zugleich den Weg zu ihrer Lösung bezeichnet, der mir für die Zukunft allein gangbar erscheint: die vollständige Assimilirung der Juden durch die europäischen Nationen." Dagegen seien die beiden Autoren, die ihn deshalb angegriffen hatten, der Ansicht,
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