pretationsmuster. Confiteor quod absurdum (Ich bekenne etwas, das absurd ist) könnte man, in Abwandlung des Tertullian-Wortes „Credo quia absurdum" (Ich glaube, weil es absurd ist), den ganzen Brief überschreiben, wobei absurd nicht allein mit ungereimt oder widersinnig zu übersetzen wäre, sondern auch im wörtlichen Sinne mit mißtönend.
Fontanes Äußerungen zur „Judenfrage" implizieren offensichtlich mehr und anderes als die antisemitischen Ausfälle vieler seiner Zeitgenossen, die schnell geneigt waren, unter dem Einfluß einer ständig zunehmenden judenfeindlichen Propaganda schlechte Erfahrungen mit einzelnen Juden zu verallgemeinern.
Auf die Komplexität und Vielschichtigkeit der Problematik kann hier nicht näher eingegangen werden. 14 Dafür wäre nicht nur eine genaue Analyse all seiner Beziehungen zu Juden und der jüdischen Figuren im Werk erforderlich, sondern auch die Untersuchung seiner Äußerungen zum „Judentum" ganz allgemein in Geschichte und Gegenwart. Eine solche Arbeit, geschrieben im Hinblick auf die Folgen des „akademischen" Antisemitismus und im Lichte unserer jüngsten Erfahrungen, hätte mindestens ebensoviel Erkenntniswert wie noch so interessante neue Werkinterpretationen im Dutzend.
Ich will mich hier darauf beschränken, an einem einzigen Beispiel nachzuweisen, was Fontane meint, wenn er „die Probe macht" auf „Menschenrechtliches" und auf „Emanzipationsideen" des 18. Jahrhunderts. Beschrieben und beurteilt werden sollen seine Urteile über Lessings Schauspiel „Nathan der Weise" und besonders über die darin enthaltene Ring-Parabel, den Höhepunkt des Stückes und die Quintessenz der Botschaft, die es transportiert und von deren Schluß - „Wohlan! / Es eifre jeder seiner unbestochnen / Von Vorurteilen freien Liebe nach" - Fontane einmal gesagt hat, daß man ihn „ vielleicht als das Hohelied der Humanitätslehre bezeichnen darf" 15 . Aufmerken läßt hier nur ein einziges Wort: vielleicht.
Fontanes erste „Nathan"-Kritik galt einer Aufführung vom 17. August 1872; darin beschränkte er sich ganz auf die Beschreibung der schauspielerischen Leistungen. 16 Ähnliches gilt für die Besprechung einer Aufführung vom 14. Februar 1880, wo es eingangs heißt: „Das Haus war gut besetzt und folgte vier Stunden lang... mit ersichtlichem Interesse. Mit mehr Interesse als Beifall. Die dritte Galerie lärmte zwar mit den Händen, aber das war nicht Beifall, sondern Störung. Im Parkett herrschte vorwiegend Schweigen, ein Schweigen, in dem sich, bewußt oder unbewußt, eine Verwunderung aussprechen mochte. Seit hundert Jahren lebt nun dies Evangelium der Toleranz, seit hundert Jahren wird es gelesen, dargestellt, zitiert; jede Figur ist populär, jede Sentenz ein geflügeltes Wort geworden - und was ist das Resultat? Doch nur die Wahrnehmung, daß das geistige Leben in einer Wellenbewegung geht und daß das, was gestern oben war, heut oder morgen unten ist. Und wieder umgekehrt. Was mir dabei persönlich als oben oder unten erscheint, in diese heikle Frage wünsch' ich nicht einzutreten. Ich zieh' es vielmehr vor, über die Neubesetzung des Stückes zu sprechen. ” 17 Zum Verständnis des von Fontane angedeuteten Hinter- und Untergrundes dürfte es nicht unwichtig sein, daran zu erinnern, daß die Aufführung wenige Wochen nach Heinrich von Treitschkes Schlußwort in dem von ihm ausgelösten Berliner „Antisemitismusstreit" erfolgte - und fünf