Heft 
(1993) 56
Seite
57
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Monate nach der ersten und programmatischen judenfeindlichen Rede des Ber­liner Hofpredigers Adolf Stoecker.

Am 18. Oktober 1880 schrieb Fontane einen Brief an Arthur Deetz, den Direk­tor der Königlichen Schauspiele in Berlin, nachdem dieser ihn aufgefordert hatte, den Prolog für eineNathan"-Aufführung zu schreiben, bei der es sich wahrscheinlich um einen Beitrag zur Lessing-Ehrung am 15. Februar 1881, dem hundertsten Todestag des Dichters, handelte. 18 Da der Brief 19 bisher nicht ver­öffentlicht worden ist, wird er hier vollständig mitgeteilt:

Berlin 18. Novb. 80.

Hochgeehrter Herr Direktor.

Potsd. Str. 134.C.

Ich schreibe gleich heute noch, weil morgen derSommernachtstraum" regiert, an des­sen Erfolg Sie den Löwenantheil haben. Jedenfalls mehr als der Löwe 20 .

Prologe sind das undankbarste, was es giebt, und ich habe die ganze Geschichte längst verschworen. Fass' ich zusammen, was ich in einem langen literarischen Leben mit Festgedichten etc. erfahren habe, so stellt sich die Sache wie folgt:

1. Es missglückt.

2. Es glückt, geht aber im Klappsitz-Spektakel unter.

3. Es glückt, aber das Publikum findet es langweilig und die Collegenschaft findet es unbedeutend.

In allen drei Fällen ist einem nur Zweierlei sicher: Aerger und ein kümmerliches Honorar. Von dem letzteren Punkte würd' ich nicht sprechen, wenn ich überhaupt noch in die Lage kommen könnte, ein solches zu empfangen. Gänzlich indessen hors de concours 21 , bin ich so glücklich all dergleichen Dinge historisch behandeln zu können.

Also meinerseits überhaupt keine Prologe mehr, am wenigsten aber einen Lessing-Pro- log. Es giebt wenige Literaturgrössen, zu denen ich ehrfurchtsvoller emporblickte; alles was wir von ihm haben, ist bedeutend, edel, vorbildlich, ächt-künstlerisch. Aber poli­tisch steh ich ganz und gar gegen ihn. Hätt ' ich in seiner Zeit gelebt, so hätt' ich ihm en tgegengejubelt, da ich aber nicht 1780 sondern 1880 lebe, so sag ich mit gutem Bewusstsein:er hat uns eklig 'reingeritten'." Halten Sie mir diesen Berlinismus zu gut, aber wenn mir warm ums Herz wird, lieb' ich es, was ich empfinde,in mein geliebtes Deutsch zu übertragen" 22 . Nathan war im Jahrhundert der Aufklärung eine wundervolle Dichtung, Nathan im Jahrhundert der offenbarsten Judenherrschaft, die s onderbarerweiseJudenhetze" genannt wird, widersteht mir. Ich bin nicht für Stoecker, aber doch schliesslich noch weniger für Davidsohn 23 . Sie begreifen hiernach, dass ich ausser den allgemeinen, auch noch gute besondere Gründe habe, von einer Lessing-Prologschreiberei mich fern zu halten. Darf ich Sie bitten, mich Exc. Hülsen 24 angelegentlichst empfehlen zu wollen. Diese Zeilen sind nur für Sie und ihn.

In vorzüglicher Ergebenheit, hochgeehrtester Herr Direktor,

Ihr

Th. Fontane.