Die Absage an das Jahrhundert der Aufklärung wird hier ebenso unmißverständlich artikuliert wie das Bekenntnis zu einer Spielart des Antisemitismus, die ihre Wurzel in der Angst vor jüdischer Konkurrenz in allen Bereichen des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Lebens hatte. Dabei spielt es keine Rolle, ob sich Fontane, der ja gar keinen Grund hatte, jüdische Konkurrenz zu fürchten, dieses Zusammenhangs bewußt war. Seine Bemerkung über die „offenbarste Judenherrschaft" aber und sein Einwand gegen den Ausdruck „Judenhetze" erinnern fatal an Argumentationen und Gedankengänge, wie sie im kurz zuvor ausgetragenen Antisemitismusstreit in den Artikeln Treitschkes und seiner Gesinnungsgenossen zu finden waren. 25 Und sie erinnern auch an Sätze eines Paul de Lagarde wie diesen: „Mit der Humanität müssen wir brechen; denn nicht das allen Menschen Gemeinsame ist unsere eigenste Pflicht, sondern das nur uns Eignende ist es." 26 Am 12. November 1880, sechs Tage bevor Fontane es ablehnte, einen Lessing- Prolog zu verfassen, erschien im Sonntagsblatt der Berliner „National-Zeitung" eine von fünfundsiebzig Persönlichkeiten des wissenschaftlichen und kulturellen Lebens Unterzeichnete „Erklärung" gegen Treitschke und dessen Gesinnungsfreunde; darin heißt es: „An dem Vermächtniß Lessings rütteln Männer, die auf der Kanzel und dem Katheder verkünden sollten, daß unsere Kultur die Isolierung desjenigen Stammes überwunden hat, welcher einst der Welt die Verehrung des einigen Gottes gab. Schon hört man den Ruf nach Ausnahmegesetzen und Ausschließung der Juden von diesem oder jenem Beruf und Erwerb, von Auszeichnungen und Vertrauensstellungen. Wie lange wird es währen, bis der Haufen auch in diesen einstimmt?" 27 Die Annahme, diese „Erklärung" sei nicht zur Kenntnis Fontanes gelangt, dürfte höchst unwahrscheinlich sein.
Am 12. August 1883 äußerte sich Fontane in einem Brief an seine Frau aus Norderney ganz ähnlich wie zuvor gegen Deetz und später gegen Paulsen: Er hätte im Laufe der Jahre vieles erlebt, was ihm „eine tief-innerliche Freude" gemacht habe, und zu „diesen Herrlichkeiten" gehöre auch „der immer mehr zu Tage tretende Bankrutt der Afterweisheit des vorigen Jahrhunderts". „Das Unheil, das Lessing mit seiner Geschichte von den drei Ringen angerichtet hat, um nur einen Punkt herauszugreifen, ist kolossal." Und wenn er dann später, im neunzehnten Kapitel der „Effi Briest", den alten Güldenklee darüber räsonieren läßt, daß „die Geschichte von den 'drei Ringen’..., eine Judengeschichte, ... nichts wie Verwirrung und Unheil gestiftet hat und noch stiftet", dann wird offenkundig, daß der Autor hier, aller modernen Erzähltheorie zum Trotz, einer Nebenfigur seines Romans eigene Ansichten in den Mund gelegt hat.
Es ist behauptet worden, Fontane habe zu der Briefstelle von 1883 und dem Güldenklee-Räsonnement von 1894 in der Schrift „Die Märker und die Berliner...n " von 1889 eine Gegenposition eingenommen .2 8 Ich vermag einen solche Gegensatz nicht zu erkennen. Zwar spricht Fontane dort von Lessings „Nathan als einem „epochemachenden Buch", um aber sogleich fortzufahren: „Ob dies Buch mit seinem Evangelium der Aufklärung und religiösen Gleichberechtigung ein Segen oder ein Unsegen, ein Fortschritt oder ein Rückschritt war, darauf geh' ich hier nicht ein, und zwar um so weniger, als diese Frage zu meinem Zwecke in keiner