Beziehung steht." Fontanes „Zweck" ist hier ein rein historischer. Er hebt hervor, daß der „Nathan" in das märkisch-berlinische Volk, damals oder später, nicht „eingedrungen", daß aber „seine Wirkung auf die gebildete berlinische Mittelklasse, ganz besonders auf bestimmte Kreise derselben", desto größer gewesen sei. Damals - die Rede ist vom ausgehenden achtzehnten Jahrhundert - habe „der berlinischjüdische Geist..., in seinen vergleichsweisen Anfängen, seine feinste Form und seine höchste gesellschaftliche Geltung" gehabt, und „die zwanzig Jahre später fallende... Korrespondenz zwischen Rahel Levin und Alexander von der Marwitz" sei „ein letzter Ausläufer dieser durch Lessings 'Nathan' eingeleiteten Aufklärungs- und religiösen Gleichberechtigungsepoche" gewesen, wie sie „andererseits ein Vorläufer der Nivellierungsepoche war". 29 „Letzter Ausläufer" und „Nivellierungsepoche": die Vokabeln weisen auf die streng historische Standortbestimmung hin; sie wiederholen recht eigentlich die Hälfte dessen, was Fontane auch anderswo zum Ausdruck gebracht hat. Was in der Schrift über die Märker und die Berliner fehlt - oder nur von Kundigen zwischen den Zeilen mitgelesen werden kann -, ist die Fontanesche Schlußfolgerung: daß „der berlinisch-jüdische Geist", nach seiner Auffassung, ein Jahrhundert später keine Anerkennung, keine Wertschätzung mehr verdiene, sondern Verachtung und Verunglimpfung.
Bei allem, was hier gesagt und dokumentiert werden mußte: Theodor Fontane war kein bornierter Vulgärantisemit. „Die Judenfeindschaft ist, von allem Moralischen abgesehn,ein Unsinn", schrieb er am 9. November 1892 an Georg Friedlaender, „sie ist einfach undurchführbar; alle Menschen die ich hier [in Berlin] kenne, ganz besonders auch Militär und Adel, sind in eminentem Grade von den Juden abhängig und werden es mit jedem Tag mehr. Ich halte es für ganz unmöglich, diesen Zustand zu ändern. " Doch dann folgt die bekannte Einschränkung: „Es giebt kein andres Mittel als Stillhalten und sich mit der allmäligen Christianisirung zufrieden zu geben." Daß er es ernst meinte, wenn er behauptete, er sei „nicht für Stoecker", geht auch aus anderen Briefen hervor als dem an Deetz vom November 1880, und der vulgärantisemitische Agitator Hermann Ahlwardt war für ihn schlicht „ein Lump" - doch auch hier geht es gleich weiter wie gewohnt: die Juden könnten froh sein, daß Leute wie dieser Ahlwardt „den Antisemitismus in die Hand genommen haben"; "die eigentlichen antisemitischen Prediger" aber seien sie, die Juden, selbst. 30 Fontanes Antisemitismus - denn von einem solchen muß, trotz aller Einschränkungen und Modifikationen im einzelnen, gesprochen werden - scheint mir nicht erklärbar zu sein „durch die Verdrängung des sozialen Kriteriums durch pseudobiographische Theoreme" noch als „der geistig-weltanschauliche Revers" einer „zum Äußersten getriebenen kritischen Reizbarkeit" und schon gar nicht mit der Behauptung, daß Fontane es sich „so verzweifelt schwer" mit der „Judenfrage" gemacht habe. 31 Im Unterschied zu Hans-Heinrich Reuter, aus dessen großer, verdienstvoller Fontane-Monographie diese Zitate stam- men , halte ich dafür, daß die eigentliche Ursache für Fontanes Juden-Gegner- schaft - genauer: für die Ablehnung der Emanzipation und der Gleichstellung - dir e Absage an die Ideen und Ideale der Aufklärung ist - eine Auffassung, die e mit sehr vielen seiner Zeitgenossen teilte und die ganz gewiß etwas zu tun hat mit deren Ratlosigkeit angesichts der wachsenden ökonomischen, sozialen und geistigen Widersprüche in der Wilhelminischen Periode der preußisch-deut- sc hen Geschichte.