Heft 
(1993) 56
Seite
67
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4. Das Staunen der Reisenden a) Der Fürst in der Taucherglocke

Eine der ungewöhnlichsten und facettenreichsten Persönlichkeiten des 19. Jahr­hunderts, Hermann Fürst von Pückler-Muskau, machte im Zusammenhang mit dem Themse-Tunnel seinem Ruf als Exzentriker alle Ehre. In den von ihm ver­faßtenBriefen eines Verstorbenen" - einer der berühmtesten und erfolgreich­sten Reiseberichte der Welt - beschreibt der Fürst, wie er sich den im Bau befindlichen Tunnel näher angesehen hat. Die erste Besichtigung findet am 19. Juli 1827 statt:

Ein freundlicher Sonnenblick lockte mich ins Freie, das ich jedoch bald wieder mit dem Unterirdischen vertauschte. Ich besah nämlich den berüchtigten Tunnel, die wunderbare, 1200 Fuß lange Kommunikation unter der Themse. Du hast wohl in den Zeitungen gelesen, daß vor eini­gen Wochen das Wasser des Flusses einbrach und sowohl den über 100 Fuß tiefen und 30 Fuß breiten Turm am Eingang, als auch den schon 540 Fuß langen, fertigen doppelten Weg gänzlich anfüllte." 14

Mit einer Taucherglocke habe man Lehmsäcke auf den Grund der Themse gebracht und mit diesen das in der Tunneldecke entstandene Loch gefüllt. Eine Dampfmaschine der stärksten Art", so Pückler weiter, habe bereits das Wasserfast ganz wieder ausgepumpt". Sein Gesamteindruck:

Es ist ein gigantisches Werk, nur hier ausführbar, wo die Leute nicht wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen sollen."

Das Spektakuläre des Werks wird ebenso deutlich wie Pücklers Neid gegenü­ber den superreichen Briten, die sich eine solche Unternehmung leisten kön­nen. In dem wirtschaftlich weit zurückliegenden Deutschland wäre so etwas, das wußte der Fürst, zum damaligen Zeitpunkt nicht möglich gewesen.

Aus Pücklers Stellungnahme spricht auch, so läßt sich vermuten, eigene Erfah­rung: Ihn selbst hatte ein Großprojekt - die Anlage des Muskauer Schloßparks - in schwere Geldnöte gebracht. Diese finanziellen Sorgen wiederum bildeten den eigentlichen Grund für Pücklers Englandreise: Er wollte sich in jenem L and ,in dem die Leute nicht wissen, was sie mit ihrem Geld anfangen sol- l en ", eine reiche Braut suchen. (Sein Vorhaben scheiterte übrigens. Eine der in die engere Wahl genommenen jungen Damen hatte moralische Skrupel, die andren genügten dann doch nicht den finanziellen oder ästhetischen Ansprüchen des Fürsten, der seine persönliche Freiheit nicht zu billig verkau­fen wollte).

Das Tunnelprojekt ließ Pückler nicht los. Unter dem Datum des 20. August 1827 ist zu lesen:

«Die Neugierde führte mich heute nochmals zu den Arbeiten am Tunnel, wo ich in der Taucherglocke mit auf den Grund des Wassers hinabfuhr