Heft 
(1993) 56
Seite
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und wohl eine halbe Stunde dem Stopfen der Lehmsäcke, um den Bruch wieder mit festem Boden zu füllen, zusah. (...) Dieses Behältnis hat kei­nen Boden... (...) Die Arbeiter hatten herrliche Wasserstiefel, welche 24 Stunden lang der Nässe widerstehen, und es belustigte mich, die Adres­se des Verfertigers derselben hier bei den Fischen, 'auf des Stromes untertiefstem Grund', in mein Portefeuille zu schreiben." 15

Der stets elegant gekleidete Fürst zusammen mit den in rauher Zweckkleidung steckenden Arbeitern, diesen bei ihrem anstrengenden Werk interessiert zuse­hend: Staunen und Kopfschütteln dürften die Reaktionen der Zeitgenossen gewesen sein, als sie diese Stelle in Pücklers Reisebericht lasen.

b) Fanny Lewald, der Tunnel und die Errungenschaften liberaler Politik

Daß der Tunnel, wie im Stechlin " angedeutet, eine Zeitlang als Sehenswürdigkeit gleichwertig neben dem Tower stand, zeigt beispielsweise die Tatsache, daß eine im 19. Jahrhundert populäre Schriftstellerin und Bekannte Fontanes, Fanny Lewald, in der Schilderung ihres Londoner Aufenthaltes (Mai bis Sept. 1850) unmittelbar an eine ausführliche Bestandsaufnahme ihres Besuchs im Tower eine ebenso genaue Beschreibung des Tunnels anschließt; natürlich spielt hier­bei auch die geographische Nähe der beiden Sehenswürdigkeiten zueinander eine Rolle.

Fanny Lewald macht zuerst, dabei ebenso knapp wie anschaulich formulie­rend, den Leser mit der Beschaffenheit des Bauwerks bekannt:

Durch einen, mit der Cassenbarriere versperrten Gang tritt man in eine hohe, mit Landschaften und anderen Scenen heiter gemalte Rotunde, die ihr Licht durch die Glaskuppel erhält, und steigt aus dieser Halle eine hohe Treppe hinab in den Cylinder, der den Tunnel bildet. Er ist durch Pfeiler der Länge nach in zwei Hälften getheilt. Diese Pfeiler formieren Hallen, zwischen denen sich Krämer aller Art, wie in einzelnen Buden eingerichtet haben. Die taghelle Gasbeleuchtung des Tunnels ist an den Pfeilern angebracht, so daß sie gleich den kleinen Magazinen zu Gute kommen kann. Wir waren auf dem linken Ufer der Themse hinabgestie­gen und gingen den Tunnel entlang, bis an das andere Ufer, an dem sich eine ebensolche Aufgangsrotunde befindet." 16

Doch bleibt es nicht bei der bloßen Beschreibung der beiden damals wichtig­sten Sehenswürdigkeiten. Fanny Lewald läßt keinen Zweifel daran, daß für sie der Tower Mahnmal jener Grausamkeiten ist, die durchdie Macht der Krone" hervorgerufen werden können. Der Tunnel stellt das Gegenstück dar, er sym­bolisiert das fortschrittliche England. Die liberale Autorin nutzte so ihr Werk zur Propaganda gegen die in Deutschland herrschende Reaktion. Als auf die immer noch von derGottesgnadenschaft" durchdrungenen deutschen Fürsten gemünzte Anzüglichkeiten muß man viele ihrer Formulierungen verstehen. So äußert sie ihr Unverständnis, daß sich... verständige Menschen, für die Vor­zeit begeistern, daß sie aus dem Pfuhle ihrer Grausamkeit (...) maßgebende Parallelen für die Zukunft ziehen mögen..." 17