Heft 
(1993) 56
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mentarischer Herrlichkeit (oder jener Emigrantenkritik, der auch der britische Liberalismus noch nicht weit genug ging) etwas entgegenzusetzen, 24 eignete sich der Tunnel, das Symbol britischer Überlegenheit, auch nicht zum Tadel. (Während der beiden längeren London-Aufenthalte war Fontane mehr oder weniger offiziell an die preußische Reaktion gebunden; die Veröffentlichungen erfolgten stets unter dem Druck, das Verhältnis zur Regierung, für die er ja auch nach seiner Rückkehr 1852 wieder arbeiten wollte, nicht zu gefährden, also die Hand, die ihn fütterte, nicht zu beißen.) 25

Zur Kritik und Polemik besser geeignet waren andere, anfechtbarere Objekte; man vergleiche hierzu Reportagen wie die 1852 entstandene aus demleeren Glaspalast". In ihr wird das vielbestaunte Gebäude, das die im Vorjahr (1851) veranstaltete erste Weltausstellung beherbergte, weitgehend entzaubert. 26 Noch einmal übt Fontane scharfe Kritik am Gebäude und an dem, wofür es steht, als er 1856 seineKristallpalast-Bedenken" formuliert. Wichtiger für die Frage nach dem Tunnel ist jedoch eine einleitende Bemerkung dieses Artikels:

Der Kristallpalast ist zur Zeit die Londoner Sehenswürdigkeit par excellence. Um den Tunnel kümmert sich niemand mehr... 27

6. Verblassender Ruhm

Die Berühmtheit des Tunnels läßt Mitte des 19. Jahrhunderts bereits nach; es gibt nun andere technische Meisterleistungen, die ihm den Rang der wichtig­sten modernen Sehenswürdigkeit ablaufen. Der Kristallpalast als Vorbild aller späteren Glas- und Stahl-Architektur ist da nur ein Beispiel. Für den regel­mäßig nach Großbritannien reisenden Julius Rodenberg - der später als Her­ausgeber derDeutschen Rundschau" mehrere der bekanntesten Romane Fon­tanes vorveröffentlichte - ist ein Jahrzehnt später das Abwassernetz Londons die wichtigste zeitgenössische Ingenieurleistung. Doch auch das Interesse an diesem, laut Rodenberg, seit 1849 betriebenen System dermit Wasser durch­spülten" Abwasserkanäle tritt schnell hinter der Begeisterung für ein soeben begonnenes Projekt zurück. Der Startschuß für die LondonerUnderground", die erste Untergrundbahn der Welt, war gefallen; gebaut wurde diese erste Strecke allerdings noch nach demcut-and-cover"-Prinzip: Eine Straße aushe­ben und den entstandenen Graben abdecken. Eine U-Bahn im eigentlichen Sinn war das noch nicht, eine echteTube" entstand erst 1869. Doch Rodenberg war bereits voller Enthusiasmus:

Die größte Revolution in Grund und Boden, auf welchem London steht, aber hat die Anlage der unterirdischen Eisenbahn veranlaßt, deren Bau im vergangenen Herbste (1861) begann und in diesem Frühling (1862) vollendet sein wird, um als achtes Weltwunder alle Völker und Nationen in Erstaunen zu versetzen..."

Und Rodenberg fährt fort:

Dieses unterirdische Eisenbahn-Projekt und seine Ausführung ist wie­der einmal ein Beispiel von englischem Unternehmungsgeist und engli-

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