Heft 
(1993) 56
Seite
74
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heid. Ihre Schimpfrede auf das britische Königreich ist freilich noch lächerli­cher als Koselegers Einlassungen, z.B. wenn sie formuliert:

'Und wenn es dann neblig ist, dann kriegen sie das, was sie den Spleen nen­nen, und fallen zu Hunderten ins Wasser, und keiner weiß, wo sie geblieben sind5 . ' "3

Die vom Erzähler favorisierte Position ist eine mittlere. Sie wird eingenommen von Lorenzen, der die positiven wie negativen Seiten des britischen Fort­schritts sieht, der einerseits für die Britenschwärmte", andererseits den Zustand bedingungslosen Schwärmens hinter sich gelassen hat und die Nach­teile desKults vor dem goldenen Kalbe" erkennt . 36

Bereits an diesem kleinen, scheinbar unwichtigen Motiv des Themse-Tunnels wird offenbar, daß ein gängiger, von Georg Lukács griffig formulierter Vorwurf an denalten Fontane",die Kräfte der Erneuerung" lägenvöllig außerhalb seines dichterischen Horizontes", keineswegs zutrifft . 37 Fontane lehnt Erneue­rung bzw. Fortschritt keineswegs ab, er macht nur auf dessen Grenzen auf­merksam, zeigt die damit verbundenen Gefahren. Anders formuliert: Eine technische Errungenschaft ist weder gut noch schlecht, es kommt darauf an, wie der Mensch mit ihr umgeht . 38

Wie gezeigt, charakterisiert Fontane manche seiner Figuren, indem er sie ihre Einstellung zum Fortschritt oder zu dem Land des Fortschritts (England) aus­sprechen läßt. Nicht nur Koseleger, sondern noch eine andere Romanfigur wird auf diese Weise mit einem Tunnel in Verbindung gebracht: Melusine. Ihre fol­gende Bemerkung läßt ebenfalls Schlüsse zu:

'Interesse hat doch immer nur das Vabanque: Torpedoboote, Tunnel unter dem Meere, Luftballons .'" 39

Melusine erkennt zwar, daß es sich bei technischen Errungenschaften um ein Vabanque"-Spiel handelt. Daß sie die damit verbundenen Gefahren aber nicht wahrzunehmen scheint (wohin das führen kann, hat das Beispiel des Zugfüh­rers Johnie ausDie Brück am Tay" bereits gezeigt), entlarvt ihren partiell ober­flächlichen Charakter. Die von ihr gewählten Beispiele bunt zusammengewür­felter, noch nicht vorhandenerSegnungen" des Fortschritts demonstrieren ihren Übermut.

Ebenfalls ist es ein Zeichen von Oberflächlichkeit, daß Melusine an dieser Stelle eines Gesprächs zwischen ihr, Gräfin Berchtesgaden und Woldemar wenig Interesse für den Gesprächsgegenstand Pastor Lorenzen aufzubringen vermag- Ohne ihn zu kennen, macht Melusine sich über Lorenzen lustig, tut ihn als Säulenheiligen" ab . 40 Erst am Ende des Gesprächs gewinnt Melusines liebens­würdige Natur wieder die Oberhand. Sie anerkennt Lorenzens Streben nach mehr Mitmenschlichkeit, das in der Person des portugiesischen Joao de Deus verkörpert wird:'Das ist schön .'" 41

Einerseits ist Melusine verständnisvoll und hilfsbereit, andererseits ist sie impulsiv, redet und handelt unüberlegt. Von letzterem legt noch ein weiterer Tunnel Zeugnis ab, den sie auf ihrer Hochzeitsreise durchquert hat, nach ihrer -