Aspekt wegzuschneiden. Im Inzesttabu ist schärfste Opposition von Natur und Kultur fixiert; wird dieses Tabu gebrochen, wird nicht irgendein Gesetz, sondern das kulturstiftende Grundgesetz der patriarchalischen Gesellschaft übertreten 13 , hat nicht privatistische Verfehlung, sondern eine Art Revolution stattgefunden. Richard Wagner verlieh im - von Fontane aufmerksam gelesenen - „Ring des Nibelungen" diesem Wissen wohl als erster „Moderner" Gestalt:
Achtest du rühmlich/der Ehe Bruch,/so prahle nun weiter/und preis' es heilig,/daß Blutschande entblüht/dem Bund eines Zwillingspaars./(...) bräutlich umfing/die Schwester der Bruder!/Wann - ward es erlebt,/daß leiblich Geschwister/sich liebten? (...) So ist es denn aus/mit den ewigen Göttern,/seit du die wilden Wälsungen zeugtest?/(...) Nichts gilt dir der Hehren/heiligen Sippe; (...) 14
U. E. wäre Obenstehendes sehr gut als Motto von Unwiederbringlich denkbar, geht es doch hier um genau jenen Konnex von Ehebruch, Inzest und „göttlicher Weltordnung", wie ihn Wagners Hauptwerk thematisiert. - Kein Geringerer als Marx griff - Wagners Intentionen verkennend - eben diese Stelle mit einem mutterrechtlichen Argument an, das uns - schon wegen seiner textlichen Umgebung - gleichfalls zu Fontane zurückführt; „In der Urzeit war die Schwester die Frau, und das war sittlich." Nicht zufällig teilt uns F. Engels das Marxsche Statement im Kapitel „Die Familie" seines auf Bachofen und Morgan basierenden Buches „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats" von 1884 mit, geht es hier doch um „Urzustand", „Blutverwandtschaftsfamilie", „ursprüngliche Kommunistische Gesamthaushaltung", in denen „das Verhältnis von Bruder und Schwester (...) die Ausübung des gegenseitigen Geschlechtsverkehrs von selbst in sich ein(schließt)." 15 Aus berufenem Munde, dem eines Berufsrevolutionärs, ist das Stichwort gegeben: Ursprung als Ziel, der geheime Sinn jeder Revolution. Fontane sah das nicht anders. Die „Neigung, wieder bei Adam und Eva anzufangen", die den angekränkelten Graf Haldern auszeichnet, seine Sehnsucht nach dem Paradies schwesterlich anmutender Liebe zur gleichfalls „angekränkelten" Stine, wird vom realitätsbewußten Onkel präzise als spezifisch Haldernscher Beitrag zum „Vorwärts- oder meinetwegen auch Zurückruck (...) de(s) weltgeschichtlichen Umschwungrade(s)" eingeschätzt und folgerichtig abgelehnt: „ Adam, Neubeginn der Menschheit, Paradies und Rousseau - das alles sind wundervolle Themata, für die sich in praxi alle diejenigen begeistern mögen, die dabei nur gewinnen und nichts verlieren können (...)" 16
Die mythologischen Wortmarken zumindest weisen auf eine nicht lediglich soziale Deutung der „heraufbeschworenen Zukunft" hin. Im Neuen würde der „Urzustand" auch und gerade im Intimsten - cum grano salis - wiederkehren, das von Fontane favorisierte und gefürchtete „Natürliche" würde sich Bahn brechen, etwa, wie er mit dem Spatzengleichnis von Stine sagt, als „Extravaganzen eines (...) vielleicht auch ungeordneten Familienlebens (...) immer frere cochon (...) und nicht wählerisch (...)". Ausdrücklich läßt der Autor seine Figur die „Parallelstellen" auch des „tier-weltlich Intrikateste(n)" in der menschlichen Lebenswelt
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