Heft 
(1993) 56
Seite
83
Einzelbild herunterladen

hervorheben: ohne Erfolg bei den Interpreten bisher. Dem Reinen ist alles rein...

Uns aber ist es hier um die intertextuellen Bezüge der angeführten Beispiele zu Unwiederbringlich zu tun. Dort finden wir selbst solcheharmlosen" Offenher­zigkeiten kaum, es spukt nur hinter den Szenenbildern, die der von ihnen be­zahlte Autor den feinen Lesern der feinenDeutschen Rundschau" stellt. Die rea­listischen Kruditäten regieren in geschichtlich/mythologische Konversation, aufgelöst aus dem Untergrund das Stück, das sich durch die Souffleur-Worte des listigen Alten nach und nach zu einem ganz anderen entwickelt, als es die auf gehobene Konvention gestellten Konsumenten in sich zu genießen vermei­nen. Das ist postmodern: sich der konventionellen Publikumserwartung (for­mal wie inhaltlich) bedienen (statt sie evident zu verletzen), um sie desto radikaler zu desavourieren. Aber noch in einem anderen Sinne kommt Fontane das Attributpostmodern" mit einigem Recht zu: was man - z. B. im Hinblick auf die Ibsen-Rezeption - als seinen Konservatismus bezeichnet hat 17 , läßt sich eher als Überwindung der Moderne aus dem ironischen Geist des Realitäts­prinzips begreifen. Am bündigsten wohl formuliert in derGespenster"- Besprechung" von 1887, die in nichts Geringerem als einem Credo gipfelt:

Unsere Zustände sind ein historisch Gewordenes, die wir als solche zu respek­tieren haben. Man modle sie, wo sie der Modlung bedürfen, aber man stülpe sie nicht um. Die größte aller Revolutionen würde es sein, wenn die Welt, wie Ibsens Evangelium es predigt, übereinkäme, an die Stelle der alten, nur scheinbar prosaischen Ordnungsmächte die - freie Herzensbestim mung zu setzen. Das wäre der Anfang vom Ende. Denn so groß und stark das menschliche Herz ist, eins ist noch größer: seine Gebrechlichkeit und seine wetterwendische Schwäche. 18 (Hervorhebung - der Verf.)

Freie Herzensbestimmung drängt zum Ausagieren des Begehrens:Der natür­liche Mensch will leben, will weder fromm noch keusch noch sittlich sein (...)". Der Zusammenstoß mit denOrdnungsmächten" ist die Konsequenz des Natürli­chen, wobei alle Vorliebe des Dichters für dieses die relative Berechtigung jener n ie außer acht läßt.D ies Natürliche hat es mir seit lange angetan...und dies ist wohl der Grund, warum meine Frauengestalten alle einen Knacks weg haben. " 19 Ein Knacks", so will es uns scheinen, der nicht erst durch die äußere Kollision mit der Prosa der Verhältnisse entsteht, sondern in der Tiefe des schwachen menschlichen Herzens schon immer angelegt ist. Die Gräfin Holk z. B. will das Natürlichste: Kind bleiben. Denn dafür steht das Inzestmotiv recht eigentlich. Das Natürlichste aber, der unbezwungene Regressionswunsch, - führt zum

Tode...

Christines Verhalten den Kindern und Holk gegenüber offenbart ihre funda­mentale Unfähigkeit, als normales soziales Wesen wirklich zu werden. Ihre psychotische Fusionsneigung, deren reale Objekte, Alfred und die Dobschütz ( v gl. S. 258!), sich ihr entziehen, treibt das siebenunddreißigjährigeGnadenfrei­er Pensionsfräulein" (34), das aus seinenvon Jugend auf gepflegten Herzensbezie­hungen" (137) nicht herausfindet, dem großen Muttersubstitut schlechthin, dem

83