Heft 
(1993) 56
Seite
84
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Meere zu. Das Inzesttabu verlangt gebieterisch die Aufsprengung des paradie­sischen Urzustands mit seiner infantilisierenden Geborgenheit und seinen nar­zißtischen Größenphantasien in Richtung auf ein Drittes, ein Neues, das für den einzelnen nur die Progression verheißende exogame Paarungsehe sein kann. Exogam bis zur Mesalliance, dennwo das alte Blut nicht aufgefrischt wird, da kann sich die ganze Sippe begraben lassen ". 20 Und - welch entschiedene Umwer­tung Ibsens und Wagners 21 - gerade Adam Estrid, das androgyne Produkt von Christines - magisch oder real vollzogenen - revolutionären Tabubruchs wurde begraben, der neue Mensch,freier Herzensbestimmung" entstam­mend, hatte sich als nicht lebensfähig erwiesen. - Holk dagegen drängt es zu einerBlutauffrischung" der eigentümlichsten Art; was jedoch an seinem Wunsch, einrichtiges irdisches Paradies" auszukosten, Sünde genannt wer­den könnte, wird in der protestantischen Welt durch das Scheidungsrecht gesühnt:

Wo Schuld, gleichwie auf welcher Seite nachgewiesen wird, wird dem Verlangen einer Trennung nirgends widerstritten (...). Weder das Gesetz noch die Sitte behindern das siegreiche Durchkämpfen einer freien und wohlmotivierten Ent­schließung . 22

Christine aber ist verloren... Ihre Illusion immerwährender symbiotischer Dual­beziehung wird von der neuen Psychoanalyse alsdie wohl potenteste Manife­station des Todestriebes in der menschlichen Psyche" angesehen . 23 Fontanes Schreiben ist stets auch Abwehr und Erfüllung dieses gefährden­den Verschmelzungswunsches. Ein lebenslanger agonaler Versuch, im Wort- Spiel mit Wunsch und Folge, das - frei von dennatürlichen Konsequenzen" der Lebenspraxis - selbst noch aus der Katastrophe Lustgewinn zu ziehen ermöglichte, - und aus dem Durchspielen gesellschaftlich geächteten Handelns gesellschaftliche Anerkennung! Er verliebt sich - wie er sagt - in seine infernal angeflogenen Frauengestalten, - und in narzißtischer Schöpferallmacht straft und züchtigt er die, die er liebt, also die Projektionsfiguren seines Begehrens, also sich selbst, der destruktiven Lustimpulse wegen, nach dem Gesetz des Vaters.

II Mythos und Genealogie - aus der Zeitlosigkeit in die Zeit.

Noch einmal Holkenäs

Gleich auf der ersten Seite, die für Fontane immerden Keim des Ganzen " 24 zu enthalten hatte, erfährt der Leser, daß Schwager Arne Holks Neubau einen nachgeborenen Tempel zu Pästum" nennt. Die kultische Konstellation ist aufge­zeigt, in deren Nachvollzug sich die gräfliche Ehe nach des Bauherrn Willen bewähren müßte. Die Tempel des am Golf von Salerno gelegenen Paestum (griech. Poseidonia) waren - so nahm man zu Fontanes Zeit an 25 - den in der Tiefe des mythischen Geschehens verbundenen Gottheiten Demeter und Posei­don gewidmet, Erde und Wasser symbolisierend, ja das über Jahrtausende gewachsene Verhältnis von Mann und Frau schlechthin: