Die Frau vertritt die Stelle der Erde und setzt der Erde Urmuttertum unter den Sterblichen fort. Andererseits erscheint der zeugende Mann als Stellvertreter des allzeugenden Okeanos [...] Wer hat in dieser Verbindung die erste Stelle? Welcher Teil soll den andern beherrschen, Poseidon die Erde, der Mann das Weib, oder umgekehrt? 26
Christine beantwortet diese Frage, indem sie ihre „Urmutter"-Rolle verweigert und nur noch die Kore suchende Demeter nachstellt, die um das vom Bruder- Geliebten(!) Zeus gezeugte Kind trauert, das von Hades in die Unterwelt entführt wurde. „Ich bliebe lieber hier unten (...) der Stelle nahe (...) wo es liegt"(10). Holk beschreibt dann auch seine Erfahrungen mythologisch genau. „Meine Tage sind mir vergangen, als ob Unterweltschatten neben mir herschwebten"(232). Die Machtfrage als solche hat die Gräfin ohnehin für sich entschieden. Holk weiß, „wer hier Herr ist und nach wem es geht" (44), und „er hat sich angewöhnt, sich seiner Frau gegenüber immer in die zweite Linie zu stellen" (37). Kein Zweifel - auf Holkenäs war - mit Hilfe des Religiösen, das schon Bachofen als entscheidendes Machtmittel der Frau behauptet 27 - eine gynaikokratische „Revolte" gelungen. Die Mutter bestimmt sogar - gegen das geltende Recht - über die Kinder, - der Mutterbruder besitzt in jeder Hinsicht mehr „Einfluß" als der Vater: Wir haben die „Blutverwandtschaftsfamilie" vor uns, in der eben „Brüder und Schwestern (...) Mann und Frau eins des andern." 28 Nur letzteres bleibt eigentlich kryptisch... Wie aus psychologischer Sicht Christines religiös verbrämter Wille zur Macht sich als Abwehr des verbotenen Begehrens (und letztlich des Todestriebes) herausstellt, haben wir im ersten Teil der Studie zu zeigen versucht. Als sie dem Todesverlangen endlich nachgibt, ist von „Herrschergelü- ste(n)" nichts mehr zu merken. In ihrer zweiten Ehe ist „aller Streit aus der Welt"(257), herrscht „Friede" (256). Und Holks Poseidonkultus entfaltet seinen todbringenden Aspekt, indem der Tempelbau Christines Beziehung zum Element durch räumliche Annäherung noch verstärkt. Zu den Gaben des Meergottes, der ja auch als „Vater" der gleichsam untergeschobenen Kore gilt (!), gehören die an den Strand gespülten Leichen der Ertrunkenen... 29 Poseidons Herrschaft wird so zum tragischen Triumph des Imaginären über das Gesetz. Im Untergang bedient sich die „Erde" des männlich codierten Wassers, um der symbolischen Ordnung des Mannes zu entkommen an den pränatalen Uranfang.
Die Gräfin Holk hat mit ihrer vorgeblichen Gegenspielerin Ebba die Grundstörung gemein, die Unfähigkeit zur normgemäßen Bindung. Bei all ihrer offenkundigen Verschiedenheit verkörpern sie doch nur zwei Seiten des narzißtischen Syndroms: Während bei Christine - des idealisierten Vater-Imagos wegen - der Verschmelzungswunsch dominiert, ist Ebba ewig auf bewundernde Bestätigung aus, ihrem pathologischen Größen-Selbst gemäß. 30 Die Annahme einer geheimen Verwandtschaft der beiden weiblichen Hauptfiguren hilft eine Vielzahl der vom Text aufgegebenen Rätsel lösen, über die sonst gewöhnlich hinweggegangen wird. Wie wäre z. B. ein Satz wie der folgende plausibel zu erklären, bezöge man ihn nicht auf unsere Basishypothese: "Ich kann diesen Ton nicht recht leiden und muß dir sagen, es ist der Ton, der nach meinem Gefühl und fast a uch nach meiner Erfahrung immer einer