Heft 
(1993) 56
Seite
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letzterem lesen wir, daß siewegen Untreue in Verdacht" 41 stand. Ihr Geliebter, der Rheingraf Otto Ludwig, soll auch der Vater ihres Töchterchens Dorothea Elisabeth gewesen sein, welchesder König nicht für sein rechtes Kind erken­nen wollte". Des Königs endlicher Bruch mit der morganatischen Gattin und die Hinwendung zu einem Fräulein Kruse (!) erfolgte erst nach Christines Ehebruch. Welch ein avis au lecteur..., der allerdings dänische Geschichte ken­nen sollte.Genealoge" (148) oderHistoriker" (159) ist Holk lediglich im ironi­schen Erzählerkommentar, in der (Kunst-)Wirklichkeit des Textes wird gerade sein diesbezügliches Versagen bedeutsam: sein Part muß vom Interpreten über­nommen werden. Der vom Grafen im achten Kapitel herbeizitierte kaiserliche Regimentskommandeur Heinrich Holk nämlich - einst Offizier Christian IV. - verdankte eine seiner militärischen Niederlagen dem gleichen Mann, der dem Dänenkönig die Niederlage im Privaten beigebracht hatte:

Dieses sein Regiment führte er bey dem neuen Generalat des Grafen Tilly in die alte Marek, hernach wider den König von Schweden, der ihn an 1631 in dem Dorffe Angern, in dem Ertzstifte Magdeburg, überfiel und solches durch den Rhein-Grafen, Otto Ludwig, ruinierte. 42

In Preußen keine Pompadur?" 43 - Noch mehr Mätressengeschichten

Von Christine Munck geht Ebbas Rede in genau berechneter Steigerung auf Heinrich VIII. mit seinen sechs Frauen" über. Dieser schlagealle Konkurrenz 'großen Stils' aus dem Felde (..) und nicht wegen der paar Enthauptungen (...) sondern wegen der intrikaten Kleinigkeiten, die diesen Enthauptungen vorausgingen." Von den sechs Frauen hat aber Fontane keine stärker beschäftigt als Anna Boleyn 44 , die im Roman auch entsprechende Erwähnung findet. Als sich der Hofstaat der Prinzessin auf dem Wege dorthin über Schloß Frederiksborg unterhält, gibt die Schimmelmann das Stichwort:Unser liebes Frederiksborg ist doch eigentlich nur ein Museum, und ein Museum denk ich, ist immer das Allerunschuldigste (...)" Die Prinzessin hält ihr eine persönliche Erinnerung entgegen, die das Schloß gleichsam in den Bannkreis jenes Zaubersintrikater Kleinigkeiten" rückt, auf die Ebba angespielt hatte:Als ich noch eine junge Prinzessin war, war ich einmal in London und habe das Beil gesehen, womit Anna Bulen hingerichtet wurde. Das war auch in einem Museum, freilich im Tower, aber das ändert nicht viel; Museum ist Museum." (152) Auch in Friedrich VII. geliebtem Museumsschloß geht also etwas dem Geist der Anna B. Vergleichbares um, so etwa wäre die Rede der Prinzessin zu deuten...

Das Anna-Boleyn-Motiv faszinierte Fontane lebenslang. Schon 1851 hatte er an Lepel geschrieben, er freue sich bei der Darstellung derBulen", demAffen meiner feinsten Sinnlichkeit mal wieder Zucker" geben zu können 45 . Die intrikaten Kleinigkeiten, um derentwillen man sie köpfte, waren Untreue und -das ist für Fontanefeinste Sinnlichkeit" - Blutschande mit ihrem Bru­der. 46

Das der Ehegeschichte der Holks untergelegte Muster findet in Anna Boleyns Leben und Leiden wohl seine potenteste Repräsentation. Schon das Vorbild

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