Heft 
(1993) 56
Seite
91
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Heine wurde bei seinem Tower-Besuch - auf den die Prinzessin alludiert - zu Revolutionsprophetie angesichts des Todesinstruments angeregt:

Auch ist das Beil, womit man ihr das Haupt abschlug nicht sehr groß (...) und während ich es in den Händen hielt, beschlichen mich sehr son­derbare Gedanken. Wenn ich Königin von England wäre, ich ließe jenes Beil in die Tiefe des Ozeans versenken." 47

Es ist diese intertextuelle Brücke die Verbindung von Privatestem und Hoch- Politischem, von England und Preußen. Während der Handlungs- und Entste­hungszeit des Romans regierte eine Königin von England, die nicht nur einen deutschen Prinzen geheiratet hatte, sondern auch die Schwiegermutter Frie­drich III. und die Großmutter Wilhelm II. war. - Und auf den jungen Kaiser zielt u. E. der zugleich massivste Angriff aus dem Text in die Realität jener bewegten Jahre. Wilhelm, vor seiner Thronbesteigung alsbedrohliche Erschei­nung"4 8 apostrophiert und später der Rückkehr zumUralten"4 9 verdächtigt, die sich in seinen Erneuerungsbestrebungen vollziehe, war ein Produkt hoch­adeligerEng-zucht". Sinnfällig wird dies schon in der Ehe der Großmutter Victoria mit ihrem Cousin Albert, der übrigens auch 1861 stirbt. In der zwölf­ten Generation hat Wilhelm statt der normalen Zahl von 4096 Vorfahren ledig­lich 275 aufzuweisen. Ahnenverlust nennt das die Genealogie - und Fontane betonte seit Vor dem Sturm immer wieder dessen Degenerationsfolgen. 50 - Wir hatten im ersten Teil darauf hingewiesen, daß Wilhelms Geburtsjahr mit dem Beginn der Romanhandlung übereinstimmt. 51 Ein Zusammentreffen, welches uns alles andere als zufällig zustande gekommen zu sein scheint, ist die Wahl des Jahres 1859 doch der vorgängigen Wahl der Landschaft -jener Gegend" um Gravenstein und Glücksburg - verpflichtet, die auch 1858 als bedeutungs­trächtigen Zeitpunkt ermöglicht hätte, 52 das Geburtsjahr jener Augustenburger Prinzessin, die einen Teil ihrer Jugend in Gravenstein verbrachte und später Kaiserin Wilhelm II. wurde. Nunfand" allerdings Fontane den Frederiksbor- ger Schloßbrand, der ein dramatisch-apokalyptisches Ende der Holkschen Affäre ermöglichte - Waberlohe und Walhallabrand in einem 53 -, und der Akzent der kryptischen Aggression verschiebt sich zunächst auf den Kaiser. Gehen wir - um dies zu verdeutlichen - noch einmal in das Mätressengespräch hinein, das ja im wesentlichen ein Monolog Ebbas ist:

Und nach Heinrich VIII. kommt Maria Stuart, und nach ihr kommt Frankreich mit seiner Fülle der Gesichte, von Agnes Sorel an bis auf die Pompadour und Dubarry, und dann kommt Deutschland noch lange nicht. Und als allerletztes kommt Preußen, Preußen mit seinem großen Manko auf diesem Gebiet (...)

Es gab aber zur Zeit der Niederschrift von Unwiederbringlich sehr wohl eine Dame, die u.a. den zweifelhaften Titel einerdeutschen Pompadour" trug. "Kaiser Wilhelm ließ sich in seine Pflichten als Souverän von einer Egeria ein- we ihen, der ungewöhnlich klugen und glänzenden Gräfin Waldersee 5 4. Die Nymphe Egeria war allerdings- ihre m mythischen König nicht nur mütterli