Heft 
(1993) 56
Seite
92
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che Ratgeberin, sondern auch Frau, - und die Gräfin wurde denn baldin die verfänglichste Verbindung" mit dem Kronprinzen gebracht. Andererseits galt die pietistische Amerikanerin, die in Wilhelmall die atavistisch latenten Züge (...) neu belebte", alsgütiger Engel" undMutter der Armen"! Von besonderer politischer Pikanterie war der Umstand, daß die Gattin des Generalquartier­meisters ihren geistigen Einfluß auf Wilhelm über die christlich-soziale Bewe­gung des Hofpredigers Stöcker gewann. Diese Mischung aus christlichem Sozialismus, Nationalismus und Antisemitismus - im Walderseeschen Hause gleichsam zusammengebraut - hat Fontane bis in den Stechlin hinein lebhaft interessiert. Nicht zuletzt an dieStöckerei" - einschließlich ihrer für Wilhelm möglicherweise erotischen Zugaben - muß Bismarck gedacht haben, als er ihn im Rückgriff auf den bei Fontane ausgesparten Friedrich Wilhelm II. charakte­risiert. An dessen Erbe sei Kaiser Wilhelmnach zwei Richtungen hin nicht unbeteiligt. Die eine ist die starke sexuelle Entwicklung, die andre eine gewisse Empfänglichkeit für mystische Einflüsse" 55 . - Der Alte in Friedrichsruh ahnte wie der Alte in Potsdamerstraße 134c, daß mit der Wiederkehr des genannten Erbes eine neue Zeit des Verhängnisses angebrochen war. Der Künstler jedoch betrachtet - aus seiner ästhetizistischenLust-am-Untergang"-Position heraus - dieStöckerei" durchaus wohlwollend und stellte sie dem mit Rolf-Krake- Hautgout behaftetenBebeltum" gleich 56 . Ganz gegen sein bewußtes Wollen untergrub also - in Fontanes Augen - das Handeln des KaisersArm in Arm" mit den nur scheinbar entgegengesetzte Interessen vertretenden Sozialdemo­kraten die Grundlagen des Alten - um beim Urältesten wieder anzukommen, den archaischen Adam- und Eva-Zeiten...

Und etwas Krake-Geruch umschwebt auch das Verhältnis Wilhelm - Gräfin Waldersee, was uns wieder zu unserer Geschichte zurückführt. Als der Kron­prinz die Tochter des zweimal von den Preußen um seine Erbansprüche auf Schleswig-Holstein betrogenen Friedrich (VIII.) Christian August, Herzog von Schleswig Holstein-Sonderburg-Augustenburg, heiratete, geriet er in eine pikante Doppelverwandtschaft mit Mary Waldersee. Sie wurde nun seine Großtante, wenngleich nur eine angeheiratete. Dem Onkel seines Schwiegerva­ters, Marys erstem Mann, der auch ein Augustenburger Prinz war, sollen angeblich die ausgedehnten Flitterwochen zur Todesursache geworden sein... 57

Warum eigentlich 'Holk'"? - Der Hofmarschall und der König

Nicht diesen intrikatenDoppelaspekt" wird Wilhelm im Blick gehabt haben, als er in Gravenstein erklärte, daß ihmdiese Provinz besonders deswegen nahe an dem Herzen steht, da in ihr zwei Dinge sich ereignet", die für sein Leben von besonderer Bedeutung seien. 58 Wenig später - in Glücksburg - nach­dem er die Gemahlin "als das Band, das ihn mit der Provinz Schleswig-Hol­stein inniger als mit den übrigen (...) verbinde", bezeichnet hatte, erklärte er sie mit der ihm eigenen Emphase zumSinnbild sämtlicher Tugenden einer ger­manischen Fürstin". Es ist, als hörte man die Dobschütz vondeutschem Haus und deutscher Sitte" schwärmen... Wie steht es also mit der tugendhaften Augu­ste Victoria, der Protektorin des Evangelisch-Kirchlichen Hilfsvereins, welcher