Heft 
(1994) 57
Seite
55
Einzelbild herunterladen

ren Teil des Romans ausgebaut werden. 30 Wenn dies geschehen wäre, hätte das Gewicht auf dem Neuen, dem Werdenden gelegen. Daß Fontane sich nachträglich für die ausführlichere Portraitierung des verschwindenden Alten entschieden hat, heißt aber nicht, daß die Verschiebung der Gewichte zu einer Änderung der Gesamtaussage geführt hätte. Die jetzige Gestalt des Romans entspricht dem bekannten Satz Lorenzens: "'Lieber mit dem Alten, soweit es irgend geht, und mit dem Neuen nur, soweit es muß'" (S. 32). Symbolgestalt für eine Entwicklung in diesem Sinne ist Woldemar. Das Bild, das der Roman von ihm vermittelt, ist keineswegs blaß oder unbefrie­digend. Bereits im zweiten Kapitel zeigt Woldemar seine ruhige Überle­genheit, die selbst seine Freunde Rex oder Czako als nicht ebenbürtig erscheinen läßt, in humorvollen Bemerkungen wie: '"Es ist merkwürdig, Czako, wie hochgradig verwöhnt im Ausdruck Sie sind, wenn Sie nicht gerade sel­ber das Wort haben..." (S. 18). Czako ist weit davon entfernt, seinem Freund diese Äußerung übelzunehmen. Im Gegenteil, er versichert Rex in Wolde­mars Abwesenheit:

'"Unser Stechlin ist der beste Kerl von der Welt, und wenn ich das ver­dammte Wort nicht haßte, würd ich ihn sogar einen 'perfekten Gentleman nennen müssen. Aber...' - 'Nun...' -Aber er paßt doch nicht recht an seine Stelle"' (S. 21).

Dieses frühe Zitat ist in vielerlerlei Hinsicht bedeutungsvoll. Es zeigt einer­seits die hohe Wertschätzung, die Woldemar selbst bei so gebildeten und kritischen Köpfen wie Czako genießt, und deutet andererseits auf Wolde­mars Abschied voraus - seine richtige "Stelle" ist eben nicht in einer Berli­ner Kaserne, sondern auf Schloß Stechlin. Überdies weist der Gebrauch des Wortes "Gentleman" auf die Verbindung von Weltoffenheit und Provinzia- lität in der Person Woldemars hin, auf einen Ausgleich der im Roman the­matisierten Gegensätze alt und neu. (Daß sich Czako überwinden muß, den englischen Ausdruck zu gebrauchen, unterstreicht dessen Aussage­kraft noch.) Und: Czako nennt seinen Freund einfach "Stechlin", vielmehr "unser Stechlin", was man lesen könnte als: der unserer Generation angehörende Stechlin.

Inwiefern aber paßt Woldemar besser in die Provinz als nach Berlin? Czako erklärt seine Bemerkung genauer. Woldemar sei nicht geschaffen für einen Zirkus von Prinzen", er sei "bloß ein Mensch".

"'Wenn unser Freund Stechlin sich in diese seine alte Schloßkate zurück­zieht, so darf er Mensch sein, soviel er will, aber als Gardedragoner kommt er damit nicht aus'" (S. 24/25).

Das parallel zur Konversation Czako - Rex laufende Gespräch der beiden Stechline gilt unter anderem Dubslav und seiner Kandidatur für den Reichstag. Dubslav offenbart, daß er eigentlich "nicht mag", aber kandi­diert, weil er "soll" (S. 23). Daß er später während des ganzen Wahlvorgan­ges passiv bleibt, andere für sich die Reden halten läßt, seine Niederlage

55