Heft 
(1994) 57
Seite
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mit Erleichterung oder doch wenigstens mit Gleichgültigkeit aufnimmt, zeigt sein Desinteresse an aktuellen politischen Vorgängen und illustriert des Alten politische Rückständigkeit mindestens ebensosehr wie das im 3. Kapitel stattfindende Gespräch bei bzw. nach Tisch, in dem Dubslav, an Czako gewendet, seine Liebe für Friedrich den Großen deutlich macht:

"'Es wäre das beste, wenn ein einziger Alter-Fritzen-Verstand die ganze Geschichte regulieren könnte'" (S. 45).

Das aber hieße die politische Uhr weit zurückdrehen. Im Verlauf des Gesprächs wird Dubslav noch deutlicher, legt seine Vorliebe für den wohl reaktionärsten Monarchen des 19. Jahrhunderts offen, den erunseren Niko­laus" nennt (S. 46). Den früheren preußischen Bund an das absolutistische, politisch äußerst rückständige Zarenreich bezeichnet Dubslav als "'...unsre größte Zeit. Größer als die jetzt große'" (S. 46). Und:

"'Ich bin für Rußland, für Nikolaus und Alexander. (...) ...alles andre ist revolutionär, und was revolutionär ist, das wackelt" (S. 47).

Daß Czako diese Bekenntnisse sehr betreten entgegennimmt und sichtlich nicht gutheißt, illustriert den reaktionären Charakter solcher Bemerkungen. Was dem Vater das rückständige Rußland, ist Woldemar das fortschrittli­che Großbritannien, mit dem er in mehrerer Hinsicht verbunden ist bzw. sein wird. Er ist im Gardedragoner-Regiment "Königin von Großbritannien und Irland" (S. 22) und wird mit Armgard eine Frau heiraten, die in Eng­land geboren wurde und deren Mutter aus der Schweiz stammt (S. 258); beides Länder, die im 19. Jhd. besonders wegen ihrer freiheitlichen politi­schen Traditionen und Systeme bewundert wurden. Nicht zu vergessen Woldemars Reise nach England, der Fontane einen ganzen, vier Kapitel (21. bis 24.) umfassenden Abschnitt mit der Überschrift "In Mission nach England" (S. 210ff.) widmet. Diese "Mission" nimmt im Roman eine Mittel­stellung ein. Das zeigt, wieviel Gewicht Fontane ihr zugemessen hat. Die Reise wird nicht direkt geschildert, sondern ist in Reflexionen, Gesprächen u.ä. präsent. Dabei wird Dubslav erneut, so sehr ihm auch die Sympathien des Autors in anderer Hinsicht gehören, als rückständig bloßgestellt, wenn er gegenüber Lorenzen, der seinerseits England kritisiert hat, äußert:

"'Und alles in allem, und neuerdings erst recht, bin ich deshalb immer für Rußland gewesen. Wenn ich da so an unsern Kaiser Nikolaus zurückden­ke...'" (S. 232).

Erneut die Flucht in vergangene, längst überkommene Zeiten patriarchali­schen Glücks. Das hat Lorenzen mit seiner Kritik am "Kult vor dem goldenen Kalbe" nicht gemeint. Der Pastor hat, wie er kurz zuvor im Gespräch aus­geführt hat, die "halbe Vergötterung" Englands "noch ehrlich mit durchge­macht", doch ist er darüber schon wieder hinaus und hat das englische kapitalistische System als unsozial erkannt (S. 232). Damit ist er Dubslav

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