weiß der ebenfalls nicht doktrinäre Woldemar, daß von Zeit zu Zeit Entscheidungen zu treffen und zu vertreten sind.
Woldemar bereitet sich auf die Nachfolge vor, der Wechsel von alt und neu nimmt nach der Verlobung ungehindert seinen Lauf. Bereits Dubslavs Brief im 26. Kapitel deutet dies an und begreift den anstehenden Wandel als positiv:
'"]a, mein lieber Woldemar, Du kommst nun also zu Vermögen und Einfluß und kannst die Stechlins wieder raufbringen...”’ (S. 254).
Sogar den "Einzug ins Reichshaus", den "dein alter Vater nicht erreichen konnte", prophezeit ihm Dubslav in seiner liebenswürdigen, einsichtigen Art. Wobei die Einsicht, wie der Rest des Briefes zeigt, Grenzen hat: Dubslav gesteht seine unbedingte Sympathie für den Klein- und Antipathie gegen den Großadel, stellt sich hierin ausdrücklich mit seiner Schwester Adelheid in eine Reihe (S. 255). Während Woldemar sich mit einer europäisch denkenden, reichen Familie verbindet und so seine Fortschrittlichkeit beweist, zieht sich Dubslav auf einen überkommenen provinziellen Standpunkt zurück. Freilich ist er hierin nicht so extrem wie seine Schwester Adelheid. Dubslav ist rückständig, doch Adelheid ist rückständiger.
6. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft:
Adelheid, Armgard und Agnes
Bot Schloß Stechlin schon einen Anblick begonnenen Verfalls, so ist Kloster Wutz lediglich eine Ruine (vgl. die Beschreibung S. 81f.). Die Bewohnerinnen sind fünf sehr alte, teils senile Damen, mit deren absehbarem Tod auch das Kloster wohl endgültig sterben wird. Daß die Domina Adelheid von Stechlin, wie Woldemar seinen Freunden erläutert, mit 76 "beinahe um zehn Jahre” älter als Dubslav ist (S. 83), kann als äußerliche Bestätigung ihrer noch über den Bruder hinausgehenden Rückständigkeit angesehen werden.
Weitere kleine Details belegen dies, z.B. die nachgehende Klosteruhr als das erste, was die sich Wutz nähernden Reisenden wahrnehmen (S. 80). Oder, daß Adelheid nicht einmal das französische Wort für Fahrrad aussprechen kann bzw. will, obwohl es "jetzt überall Mode" sei (S. 82). Der bereits erwähnten Gleichsetzung bestimmter Länder mit Entwicklungsstufen des Fortschritts entspricht es, wenn sie dann noch erklärt:
'"Sage nichts Französisches. Das verdrießt mich immer. Manche sagen jetzt auch Englisches, was mir noch weniger gefällt'" (S. 103). 35
Dubslav, der französische Ausdrücke gebräuchlich findet, ist also noch fortschrittlicher als seine Schwester, die nicht einmal diese "Mode” mitge- rnacht hat. Wie alle Hauptpersonen des Romans ist aber auch Adelheid nicht bloß ein negativer Typ; eine solche Interpretation würde ihrem Charakter nicht gerecht. Dennoch ist sie als Personifikation des - wenn
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