Heft 
(1994) 57
Seite
65
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"'Ich respektiere das Gegebene. Daneben aber freilich auch das Werdende, denn eben dies Werdende wird über kurz oder lang abermals ein Gegebenes sein. Alles Alte, soweit es Anspruch darauf hat, sollen wir lieben, aber für das Neue sollen wir recht eigentlich leben. Und vor allem sollen wir, wie der Stechlin uns lehrt, den großen Zusammenhang der Dinge nie verges­sen. Sich abschließen heißt sich einmauern, und sich einmauern ist Tod'" (S. 279/280).

Dubslavs Bemerkung hingegen, Lorenzen halte den See "'...für einen richti­gen Revolutionär, der gleich mitrumort, wenn irgendwo was los ist' (S. 56), ist nicht ernstzunehmen. Schließlich ist Lorenzen kein Mann der Revolution, sondern, wie sein Schüler Woldemar, ein Mann des evolutionären Wandels. Dubslavs Urteil fällt auf ihn selbst zurück, ist ein weiterer Beleg für seine Zugehörigkeit zum überkommenen Alten. Dubslav zeichnet sich über­haupt durch eine unnötige Angst vor Revolutionen aus; was aber nur daran liegt, daß er fast jede Änderung des Überlieferten bereits als Revolu­tion betrachtet. Hierüber informiert ein Gespräch zwischen Woldemar und seinem Vater, das sich um die Kolonie Globsow dreht. Dubslav erklärt, er habe die Glasbläserei nie gemocht, und verdächtigt die Arbeiter, daß sie mit den Flaschen zur Aufbewahrung von Säuren auch "Werkzeuge liefern für die große Generalweltanbrennung" (S. 71). Eine so überzogene Verdächti­gung, die einfachen Globsower Arbeiter könnten eine Weltrevolution aus- lösen, läßt sich nur ironisch verstehen und fällt auf ihren Urheber zurück. Woldemar, dessen Denken bereits von fortschrittlichen sozialen Gesichts­punkten geprägt ist, tritt dem auch vehement entgegen:

"'Es ist doch ein wahres Glück, daß so viel davon in die Welt geht und den armen Fabrikleuten einen guten Lohn sichert'" (S. 70).

Die Revolutions-Hypochondrie resultiert aus Dubslavs Angst vor dem Tod und davor, als Alter dem Neuen Platz machen zu müssen. Hinweise auf seinen Tod durch die Krankheit der Wassersucht werden ja bereits sehr früh gegeben. 44 Auch derHippenmann" spricht Bände. Die im Flur hän­gende Rokokouhr in Form eines "Zeitgotts, der eine Hippe führte, wird bereits auf S. 19 das erste Mal erwähnt. Sie symbolisiert Tod und Unter­gang. Kein Wunder, daß "...der Hippenmann wie verwundert und beinah ver­drießlich auf die fremden Gäste niedersah", als Woldemar mit seiner Verlobten im Schloß eintrifft (S. 261). Macht Woldemar durch seine Heirat doch dem Untergangsboten einen Strich durch die Rechnung, jedenfalls soweit es den Fortbestand des Hauses Stechlin betrifft. Dubslav wird dem "Hippen­mann" allerdings nicht entkommen können. Doch seine Angst vor dem Tod wird der Alte erst gegen Ende des Romans ganz überwinden. Auf dem Wege dazu befindet er sich aber schon mit Romanbeginn, so uneinsichtig er sich auch manchmal zeigt. 45

Während der See Stechlin nur über Naturkatastrophen Auskunft gibt, mel­den sich von Menschen veranstaltete Revolutionen passenderweise per