Heft 
(1994) 57
Seite
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Vincent J. Günther hat - m. E. richtig - über eine solche Identifikation Fontanes und Dubslavs geurteilt: "Damit wird notwendig die Kunstfigur des Romans ver­fehlt" (siehe Anm. 3, S. 94). Und Joachim Müller hat bereits auf die "fragwürdige Repräsentation dieses altmärkischen Gutsbesitzes" und die "zahlreichen Wider­sprüche und Zwiespältigkeiten" in Dubslavs Charakter aufmerksam gemacht (siehe Anm. 10, S. 4 u. 9).

12 Vgl. Ulrike Tontsch: Der "Klassiker" Fontane. Ein Rezeptionsprozeß. Bonn 1977. (=Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft, Band 217.) S. 113.

13 Heute weiß man, daß diese unzulässige Identifikation von Autor und Romange­stalt vor allem auf das zufällige Zusammentreffen von Fontanes Tod mit dem Erscheinen des Romans bzw. den darin enthaltenen, berühmt gewordenen Roman-Nachruf Lorenzens auf Dubslav zurückgeht, den man gleich auf Fontane selbst bezog. Kurz: "Die zeitgenössische Aufnahme des Romans steht im Schat­ten des Todes seines Autors. Nachruf und literarische Kritik verschmelzen zu einer teils wohlwollenden, teils enthusiastischen Würdigung der Gesamtpersön­lichkeit..." Vgl. Hugo Aust (Hsrg.): Th. Fontane: Der Stechlin. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart 1978. (=Reclams Universal-Bibliothek Nr. 9910/5.) S. 89.

14 So hat z.B. Ulrike Tontsch (siehe Anm. 12) gezeigt, daß Fontane vom Wilhelmini­schen Deutschland "zum repräsentativen Preußen" (S. 49), von den Nationalso­zialisten zum Vertreter "gesunden Volkstums" (S. 55), in der Bundesrepublik zum "Demokraten" und in der DDR zum "Gesellschaftskritiker" (S. 92) gestem­pelt wurde. Und Heiko Strech hat eindrucksvoll durch die Aneinanderreihung von sich gänzlich widersprechenden Aussagen Fontanes belegt, "...daß der Autor abwechselnd konservatives und liberales Denken übt, der Kirche respekti­ve den Konfessionen Protestantismus, Katholizismus oder Judentum wechsel­weise Daseinsberechtigung ab- und wieder zuspricht oder das Preußentum gegenüber England und Frankreich auf- und wieder abwertet. Man könnte wei­terhin durch Verabsolutierung einzelner Briefstellen einen demokratischen, anti­preußischen, pessimistischen, misanthropischen, antikirchlichen Fontane kon­struieren, und mit gleichem Recht und Glück das Gegenteil tun" (siehe Anm. 10, S. 32). Strech ist allerdings inkonsequent, in seiner diesen Bemerkungen folgen­den Interpretation des Stechlin bringt auch er Fontane-Aussagen mit ins Spiel, z.B. weist er auf "die Adelsvorliebe Fontanes" hin (S. 78).

15 Vgl. Walter Müller-Seidel: Th. Fontane: Soziale Romankunst in Deutschland. 2. durchges. Aufl. Stuttgart 1980. Zitat S. 434.

16 Walter Müller-Seidel (siehe Anm. 15), S. 442.

17 Vgl. z.B. Hans-Heinrich Reuter (siehe Anm. 11), S. 849: "Wesenlos und blaß, eine poetisch nicht mehr zu integrierende Allegorie, bleibt die Ehe zwischen Wolde- mar und Armgard..." Ähnlich urteilt Vincent J. Günther: "Aber man wird wohl sagen dürfen, daß diese Prägung ("Kraft des Herzens die Zukunft meistern" zu können; S.N.) in den Menschen der Zukunft, Armgard und Woldemar nur noch bedingt, wenn überhaupt, spürbar ist" (siehe Anm. 3, S. 112). Dieser Ansicht ist auch Charlotte Jolles, vgl. ihren Aufsatz: Der Stechlin. Fontanes Zaubersee. In: Hugo Aust (Hrsg.): Fontane aus heutiger Sicht. Analysen und Interpretationen seines Werks. Zehn Beiträge. München 1980. S. 239-257. In dem Aufsatz der ver­dienten Fontane-Forscherin, die sich hier vor allem mit der Verwandtschaft von Thomas Manns Werk mit dem Fontanes befaßt, heißt es u.a. zu Woldemar: "Die Wahl eines durchschnittlichen Menschen als Hauptfigur ist bezeichnend" (S.

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