Heft 
(1994) 57
Seite
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streift Fontanes Darstellung die Karikatur, wie bereits Charlotte Jolles gezeigt hat (siehe Anm. 31, S. 185). Die aus unreflektierten Bildungsschnipseln zusammen­gestückelten Vorurteile der Domina disqualifizieren sie als ernstzunehmende Kri­tikerin.

36 Allein die Möglichkeit, daß Agnes Dubslavs Tochter sein könnte, ist ein Beleg dafür, daß in Agnes die zukünftige Generation portraitiert werden soll, in der keine Klassenschranken mehr gelten. Agnes' wirklicher Vater ist, so vermute ich, deshalb unbekannt, weil sie als ein im geistigen Sinne allgemeines Kind der Gesellschaft gedacht ist.

37 Melusine ist mehr unterhaltsame Gesellschaftsdame, Armgard steht geistig höher - was der Erzähler mit Dubslav erkennt: "Daneben aber stand die blasse, schö­ne Braut und die reizende, bieg- und schmiegsame Melusine. 'Ja, der alte Barby, wenn er auf die sieht, der hats gut, der kann es aushalten. Immer einen guten und klugen Men­schen um sich haben, immer was hören und sehen, was einen anlacht und erquickt, das ist was...'" (S. 321). Diese Charakterisierung ist eindeutig: Melusine erheitert, aber Armgard ist der "gute und kluge Mensch". Zwar war Melusine die Erzieherin der jüngeren Schwester, doch hat sich dies Lehrer-Schüler-Verhältnis mittlerweile umgekehrt. Vgl. hierzu folgende Romanstelle: "'Melusine, du darfst so nicht weiter­sprechen', unterbrach hier Armgard. 'Sie wissen übrigens, Herr von Stechlin, wies hier steht, und daß ich meine ältere Schwester, die mich erzogen hat, (hoffentlich gut), jetzt nachträglich mitunter meinerseits erziehen muß'" (S. 249).

38 Beispielsweise erläutert ein Erzählerkommentar diese Scheinheiligkeit der Domi­na: "Denn trotzdem sie beständig Demut predigte, hatte sie doch nicht gelernt, sich in Demut zu überwinden" (S. 261).

39 Dubslavs Rückständigkeit offenbart sich auch in den Problemen, die ihm Arm- gards Idealität bereitet. Ihrem "Ernst " (S. 289) zieht er, der "nicht vieles ernsthaft (S. 291) nimmt, die Leichtlebigkeit Melusines vor (vgl. das Gespräch mit Loren­zen S. 289).

40 Am deutlichsten wird dieser Gegensatz in einem weiteren Gespräch der beiden, das auch meine Zuordnung alt und u ralt bestätigt. Dubslav sagt darin u.a. zu seiner Schwester: "'Ich gelte schon für leidlich altmodisch, aber du, du bist ja gera­dezu petrefakt" (S. 293 / petrefakt=versteinert).

41 Th. Fontane: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Hrsg. v. Helmuth Nürn­berger. 3. Aufl. 1. Band. München, Wien 1987. (=Hanser-Fontane-Ausgabe.) Beide Zitate: S. 341.

42 Vgl. Krausch (siehe Anm. 23), S. 345.

43 Daß Fontane das Motiv des roten Hahns einer überlieferten Sage entnommen hat und daß dieses Sagentier im Roman nicht mit von Menschen veranstalteten Revolutionen in Verbindung gebracht wird, widerlegt m.E. eindeutig die bisheri­ge, wie folgt lautende Interpretation: "Der rote Hahn wird zum Feuerzeichen der Revolution, die die ganze Welt in Flammen setzen wird." So Vincent J. Günther (siehe Anm. 3), S. 135; ähnlich Manfred Allenhöfer (siehe Anm. 4), S. 83.

44 Vgl. Dubslavs Worte zu Czako über ein mögliches "erstes Zeichen von Hydropsie , das er bei sich festgestellt habe (S. 65).

45 Vgl. z.B. das Gespräch Woldemar - Dubslav S. 62f.:"Na, solange ich hier sitze, so lange hält es noch. Aber freilich, es kommen andre Tage.' - Woldemar lächelte. - Na,

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