Heft 
(1994) 57
Seite
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fuhr der Alte fort, 'will mich trösten. Als der alte Fritz zu sterben kam, dachte er auch, nu ginge die Welt unter. Und sie steht immer noch...'" Kurz vor seinem Tod gibt Dubslav dann den für alte Menschen natürlichen, bei ihm ohnehin nur halbher­zigen Kampf gegen das Werdende auf: "'Das 'Ich' ist nichts - damit muß man sich durchdringen. Ein ewig Gesetzliches vollzieht sich, weiter nichts, und dieser Vollzug, auch wenn er 'Tod' heißt, darf uns nicht schrecken. In das Gesetzliche sich ruhig schicken, das macht den sittlichen Menschen und hebt ihn'" (S. 284).

46 Es ist in der Forschung immer wieder auf die symbolische Bedeutung der Farbe Rot als Farbe der Revolution hingewiesen worden. Am Beispiel der vor dem Stechliner Schloß wehenden Flagge hat der vorliegende Aufsatz aber bereits gezeigt, daß diese Farbe nicht nur für Revolution, sondern in diesem Fall für das revolutionsf eindliche Deutsche Reich steht; im weiteren Verlauf des Romans wird Rot, das sei hier ergänzt, ebenfalls nicht mit Revolution, aber einmal mit der Sozialdemokratie assoziiert, und auch dahinter wird ein dickes Fragezeichen gesetzt. Werfen wir mit Dubslav einen Blick auf Doktor Moscheles: "'Es war eine Dummheit von Sponholz, sich grade diesen auszusuchen, solchen Allerneuesten, der nach Sozialdemokratie schmeckt und dabei seinen Stock so sonderbar anfaßt, immer grad in der Mitte. Und dazu auch nochnen roten Schlips"' (S. 343). Engelkes Erwiderung "'Es sind aber schwarze Käfer drin'" karikiert Dubslavs Kritik und offenbart die ironische Erzählhaltung. Dubslavs Kritikpunkte sind tatsächlich nichts weni­ger als lächerlich: die Art, wie der Doktor seinen Stock hält, und die Farbe der Krawatte sollen Moscheles, der sich durch eine harmlose Bemerkung lediglich für einen anderen Kandidaten als Torgelow bei den kommenden Wahlen ausge­sprochen hat (S. 343), als "Sozialdemokraten" ausweisen! Dubslav wird nicht zuletzt deshalb sterben, weil er sich starrköpfig weigert, den nur in seiner Vor­stellung existierenden "Sozialdemokraten" als Hausarzt anzuerkennen.Auch die o.g. roten Ziegeldächer der Kolonie Globsow sind Ausdruck der, wenn es um Revolutionen geht, stets ironischen Erzählhaltung des Romans. Erstens ist es der überall Revolutionen witternde Dubslav, der seine Gäste auf die roten Dächer hinweist und sich damit offenbar über sie lustig machen will (vgl. die nachfolgende Interpretation der Szene). Und zweitens befindet sich unter diesen angeblich so revolutionären Dächern nur eine alles andere als ungewöhnliche, kleine Fabrik.

Überhaupt werden alle Romangestalten, die zu sehr das Neue oder das Alte auf Kosten des jeweils anderen forcieren wollen, durch die Erzählhaltung der Lächerlichkeit preisgegeben (je extremer, desto lächerlicher). Gundermann mit seinem ewig wiederkehrenden "Wasser auf die Mühlen der Sozialdemokratie" (z.B. S. 40) oder der dumme Isidor Hirschfeld ("'Aber Vaterleben, was sollen wir mit'm Kirchturm?"', S. 13), der "fürs Neue" ist, ohne daß er weiß, was das bedeutet (S. 12f.), sind nur zwei Beispiele für diese satirische Zeichnung. Auch die von den Interpretatoren immer wieder bemühte Pariser Rattenjagd, von der Czako erzählt, ist nichts weniger als ein Hinweis auf kommende Revolutionen (S. 35f.). Die Ratten (also die Revolutionäre) bleiben schließlich wo sie sind und lassen sich jagen, so daß die Jäger später davon erzählen können. Damit ist noch nicht berücksichtigt, daß der schlitzohrige Czako die Geschichte erfunden hat, um sich über Frau Gundermann (und die stereotype, unreflektierte Angst der Gunder­manns vor der Sozialdemokratie) lustig zu machen.

47 Alle Gespräche, die sich um revolutionäre Themen drehen und nicht zufällig nur von Adeligen geführt werden, haben diesen humoristischen Charakter. Man spielt mit dem Revolutionsgedanken - schon allein das zeigt, wie wenig ernst man ihn nimmt. Daß man ihn nicht emstnehmen muß, darauf deuten die im

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