und die "unechten Korrespondenzen" des Kreuzzeitungsredakteurs Fontane untersucht hat, die er vorgeblich aus England schreibt, konnte sie überzeugend darlegen, wie sehr er diese Arbeit später, in seinen Memoiren, mit Retouchen versehen hat. Die Kreuzzeitung freilich ist in jenen Jahren nicht mehr direktes Sprachrohr der Hofkamarilla. Der Kronprinz unterhielt Kontakte zur Wochenblattpartei. Den Redakteuren der Kreuzzeitung blieb daher "eine gewisse Gestaltungsfreiheit", das werde die Veröffentlichung der bisher unberücksichtigten, umfangreichen Materialien zeigen, auf die man gespannt sein darf. Das Wort vom "missing link" machte die Runde. Einzelansichten Fontanes, wie sein Verhältnis zu Polen, seien nun präziser zu beurteilen. Niemierowski (Lublin) bestätigte Streiter-Buscher, und Fischer wies darauf hin, daß Preußen-Deutschland ein Staat ohne Nation, Polen eine Nation ohne Staat gewesen sei. Die Ref. selbst hob hervor, daß diese Ansichten bis in den ersten Roman "Vor dem Sturm" führten.
Zur Rolle anderer Presseorgane und zeitgenössischer Literaturgeschichten bei der Ausformung des Fontane-Bildes hatte zuvor Luise Berg-Ehlers (Bochum) vorgetragen (vgl. ihr Buch: Theodor Fontane und die Literaturkritik, Bochum 1990, vgl. auch Michael Masanetz, Leipzig, zu den liberalen Rezensionsorganen, in: Lit.Leben 1987). Werden Fontanes Kriegsbücher relativ einheitlich von der Kreuzzeitung wie der Nationalzeitung als "Volksbücher" für jedermann empfohlen, so differenziert sich das Bild mit der Romanproduktion Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre. Elke Sander (München) ist es zu danken, daß auch dieses Kapitel nicht mehr nur aus der Sicht Fontanes darzustellen ist (der sich ärgert, als die "Gnaden"-Dota- tion des Kaisers 1876 ausbleibt). Es gab nach dem Deutsch-Französischen Kriege eine breitere Debatte "Zwischen Droysen und Delbrück" (so das Thema von Sander), zwischen Moltke und prominenten Generalstäblern, deren Berichte Fontane ebenso ausschlachtete wie die Reisebeschreibungen seines Kollegen Ludwig Pietsch. Man stritt darüber, ob die Landschaftsdarstellung der Kriegshistorik dienlich sein könne. Wer die eindringlichen Forderungen Fontanes nach einer dritten Reise zu den Schauplätzen des Geschehens in Frankreich kennt, mehr noch: seine Suche und erklärte Absicht, ein neues Verfahren zu entwickeln, um Schlachten und Truppenbewegungen nacherlebbar machen zu können, erkennt, daß hier eine Kernzone sichtbar wird, die vom Journalisten zum Romancier führt.
Als Osborne zu Fontanes Kriegsbüchem referierte (vgl. seine Vorarbeiten in den Fbl. 37/1984, sowie Lit.Leben, 1987), wurde noch einmal die enorme Bedeutung des gesamten Experimentierfeldes zwischen 1864 und 1876 sichtbar. Der Zeitraum erscheint jetzt bedeutsamer als früher, nicht mehr nur durch die ungeheuren Stoffmassen der Kriegszüge bedingt, die Fontane schwer bewältigt. Seine Auffassung vom Krieg generell, von seinen Schlachten, von der Rolle des Einzelmenschen, den Waffen, den Verlusten und den in Fontanes Sicht vorgezeichneten Schicksalen, insonderheit dem der Franzosen, von der "levee en masse" und der Rolle bedeutender Heer- führer wie Gambetta, aber auch Napoleons III., geraten in eine schöpferi- sc he Krise, die sich immer wieder am Versuch entzündet, ein umfassendes
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