Heft 
(1994) 57
Seite
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erlebter Geschichte aus, und sie betreffen nicht nur ihn allein (wie auch Fritz Gebauer, Großenhain, über "Fontane und Lothar Bücher" und Hel­mut Richter, Leipzig, über "Guido Weiß und Theodor Fontane", in: Lit.Leben 1987 gezeigt haben). Historismus und Nationalismus bilden eine widersprüchliche Einheit aus Regeneration und Reaktion. Dem Schrifstel- ler Theodor Fontane hätte mit seinem ersten Roman ein großer Wurf gelin­gen können - es gibt keinen vergleichbaren Versuch in der deutschen Lite­ratur zwischen Willibald Alexis und Felix Dahn. Nachdem wir nun präzi­ser über den "mittleren Fontane" unterrichtet sind, können wir erneut nach dem Ganzen fragen. Etwa wie Max Rychner, der (schon 1949) die These aufstellte, "Daß, wie Napoleon zu Goethe sagte, die Politik das Schicksal sei, hat kein deutscher Dichter in der zweiten Jahrhunderthälfte so wesentlich ver­standen wie Fontane" (zit. nach Carlotte Jolles, Metzler-Monographie, 4. Aufl., Stuttgart, 1993,S. 117).

Der Betonung des ersten Jahrzehnts innerhalb der Lebensphase von "Von 30 bis 60" widmete sich Christian Grawe (Melbourne) im ersten öffentli­chen Vortrag des Symposions. "Warum Fontane kein Barbarossa-Epos schrieb", fragte er und kam damit auf das Zurücktreten von Dichtung im engeren Sinne beim mittleren Fontane zu sprechen. Noch einmal nahm er damit auf den Briefwechsel mit Lepel in den Tagen von Revolution und Konterrevolution (1849 u. 1851) Bezug. Während Fontane an einem Barba­rossa-Epos arbeitet, feiert eine ins Patriotische gesteigerte historische Dich­tung Triumphe. Wie lehnt er sich daran an, wie stößt er sich davon ab? Lepel meint: "Ich möchte wohl sehen, wie Du Mailand unter seinen Füßen knir­schen und wimmern läßt." Fontane antwortet 2 Jahre später, "erst jetzt fühle ich meine Flügel insoweit gewachsen, daß ich mich mit einer Aussicht auf Erfolg an die Sache wagen kann." Es blieb bei diesen Vorsätzen, obwohl die Suche nach historischen Stoffen und der Umgang mit Geschichte lebenslang anhielt und die mittlere Epoche bis zu Schach von Wuthenow dominiert.

Dietmar Storch (Hannover) gelang es, den weiten Bogen vom frühen Fon­tane zum Preußenkritiker im Jahre der Reichsgründung zu schlagen. Aus- gangspunkt waren dessen Bemerkungen über die "Potsdamme der Weltge­schichte", mit ihrem beschränkten Typus von Mensch und Staatsbürger, den Storch auch im Fragment Die Preußische Idee geortet hat. Es ist im Zusam­menhang aller Beiträge verständlich und bleibt doch erstaunlich, daß das, was Fontane später "Borussismus" nennen wird,eine der niedrigsten Kultur­formen", weit zurück beim "mittleren Fontane" angelegt ist, der erklärter- maßen ein konservatives Konzept verfolgt und sich um Dotationen und Sinekuren bei Hofe bemüht. Die Konferenz hat ganz wesentlich dazu bei- g. e tragen, solche Widersprüche zu verstehen und weiter zu verfolgen

Ein "Glücksfall" resümierte Wruck, sei die Tagung gewesen, von viel guter Kls ollegialität und Zusammenarbeit getragen. Der "mittlere Fontane" a Forschungsgegenstand sei endgültig etabliert. Nürnberger schloß sich dem an und fragte, wie es nun weitergehen solle. Die Gesellschaft wolle den öffa en tl i c he n Diskurs und die Erschließung neuer Materialien mittragen. D abt- er sind die Desiderata unumstritten: Ein Fontane-Tag der Humbold

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