Universität Berlin zu den "Wanderungen" findet im Februar 1994 statt, Konferenzen zu den Kriegsbüchern und zur Lyrik sind dringend geworden (vgl. die erste Gesamtausgabe der Gedichte bei Aufbau 1988). Eine aktuelle internationale Bibliographie fehlt, eine neue wissenschaftliche Biographie könnte folgen. Die Tagebücher und die Notizbücher harren der Veröffentlichung. Eine neu kommentierte Ausgabe der Friedlaender-Briefe ist für 1994 angekündigt (Hettche bei Insel). Von deren erster Gesamtausgabe (1954) vor vierzig Jahren ging ein neues Fontane-Bild aus, das sich mit der Bezeichnung "Fontane-Renaissance" verbindet. Läßt sich ein ähnlicher Durchbruch jetzt, wo ein Weltpublikum für Fontane gewonnen ist, voraussagen?
Henry H. H. Remak, bis Mitte der 30er Jahre in Berlin, seit Jahrzehnten in den USA (Bloomington, Indiana, heute Direktor eines Institute for advan- ced study) gelang es in öffentlicher Rede, sein Fontane-Bild vorzutragen und so den Blick für den ganzen Fontane zu schärfen. Liebevoll, kritisch, engagiert in den Weltfragen von heute. Wer vom Sockel steigt, kommt uns näher. Indem Remak bei der Lektüre in seinem Elternhaus begann und mit dem Unterricht im französischen Gymnasium in Berlin fortsetzte, Licht und Schatten auf seinen Begleiter Fontane während der Emigration in Frankreich und Amerika fallen ließ (dem er antisemitische Dummheiten und gelegentliche Sentimentalitäten ankreidete, insgesamt aber eine vernunftbetonte Intelligenz von sympathischer Liebenswürdigkeit bescheinigte), warnte er vor trockener Gelehrsamkeit im Umgang mit dessen Werk, warb er auch für die kleineren Kostbarkeiten. 1980 hat er den großen Essay "Fontanes Weg zur Weltliteratur" (Fbl., Sonderheft 6) veröffentlicht. Vor mehr als hundert Jahren, so ist zu lesen, entwarf Fontane eine bis heute wenig bekannte Skizze Kritische Wanderungen in Ost und West, die sich dem Generalthema der Konferenz insofern zugesellt, als Fontane 1874/75 nach der Lektüre von Bret Harte (short Stories im Stile von Jack London aus dem Goldgräbermilieu) den Vergleich mit Dickens und Zola, mit Turgeniew, Gogol und Björnson versucht, ehe er Anfang der 80er Jahre Zola liest. Man muß den Einzelwertungen nicht unkritisch folgen, und auch Remak tut dies nicht. Die Spannweite der Überlegungen und die Eigenständigkeit der Anverwandlung von literarischer Erfahrung sind es, die anregen können. Damals wie heute.
Dies vor allem wohl wollte dieser Senior der Fontane-Forschung, der zum Ehrenmitglied der Gesellschaft gewählt wurde, sagen. Indem Remak seine privat erworbenen Handschriften dem Archiv in Potsdam übergab, setzte er ein Zeichen gegen vorherrschende Auktionstrends. Schon 1903, vor 90 Jahren, hatte Paul Schlenther, Kritikerkollege bei der Vossischen Zeitung, Freund der Familie Fontane und führendes Mitglied der Nachlaßkommission, die Erben Theodor Fontanes gemahnt: Ein Werk vom Range Theodor Fontanes gehört der Öffentlichkeit.