Heft 
(1994) 57
Seite
98
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Entwicklung des Autors durch alle Drapierungen hindurch nachzuzeich­nen. Was in Richters Kapitel der "Deutschen Literaturgeschichte", welches den Zeitraum 1849-1870 behandelte, schon anklang, wird 1987 in der Mate­rialstudie 5 zu Fontane und Guido Weiß überzeugend nachgewiesen: Das Schicksal des Dichters als politischer Mensch erscheint gleichsam als kol­lektives Schicksal der "märkisch-preußischen Demokratie". Es gelingt Richter mit dieser Arbeit ein gewichtiger Beitrag zur Aufhellung des "kon­kret politischen Stellenwert(es) der vielzitierten kritischen Äußerungen Fontanes über das Wilhelminische Reich ... und seines späten Bekenntnis­ses zur Demokratie", das die radikale Position des Revolutionärs immer noch enthält. Bereits 1984 hatte er mit seiner Dokumentation über Wilhelm Bölsche und Fontane 6 , die auch unbekannte Briefe des Dichters an Karl Bölsche enthielt, ein sinnfälliges Beispiel für die "Kontinuität zwischen bürgerlichen Demokraten des Vormärz und der Revolution und der oppo­sitionellen jungen Generation" der Kaiserzeit vorgeführt. Insgesamt ord­nen sich die Fontane-Bemühungen Richters dem von ihm formulierten Ziel unter, ernst zu machen mit der "komplexen Analyse aller Wirklichkeitsbe­züge und Wirkungsaspekte des Autors", um dessen eigentümliche weltan­schaulich-ästhetische Modellierung der Wirklichkeit ergründen zu können. Eine Aufgabe, die erst seit etwa anderthalb Dezennien gegen den Wider­stand der Großparaphraseure aller Couleur nach und nach einer Lösung näher kommt: und die auch künftig mit den gediegenen Wortmeldungen des Jubilars, der an dieser Stelle naturgemäß "nur" als Fontane-Mann gewürdigt werden sollte, rechnen kann.

Anmerkungen

1 Franz Kafka, Werk und Entwurf. Berlin 1962

Vgl. auch den Kafka-Artikel Richters in: Österreichische Literatur des 20. Jahr­hunderts. Berlin 1988.

2 Der junge Fontane. Dichtung, Briefe, Publizistik. Aufbau-Verlag Berlin und Wei­mar 1969.

3 "Nahen einer neuen Zeit". Die frühe Publizistik Theodor Fontanes. In: NDL 12/1969, S. 94-104.

4 Ebd., S. 166-172.

5 Guido Weiß und Theodor Fontane. Demokratische Beiträge zur Wesensbestim- mung des Dichters. In: Theodor Fontane im literarischen Leben seiner Zeit. Mit einem Vorwort von Otfried Keiler, Berlin 1987, S. 337-378. Und (mit Materialien) FBI Bd. 6 (1987) H. 6, S. 606-644.

6 Theodor Fontane und Wilhelm Bölsche. Eine Dokumentation. In: FBI Bd. 5 (1984) H. 5, S. 387-412.

Die jüngste - sozusagen implizite - Zusammenfassung der Richterschen Positio- nen findet sich in der brillanten Kritik an Gerhard Friedrichs vom konservative n ! Zeitgeist zeugenden Buch "Fontanes preußische Welt" in FBI 1990, H. 49, S. 115- 123.