Sein eigenes lebensgroßes Porträt, von der Hand Graffs, hing über dem Kamin." (II/11) Schloß Friedrichsfelde aber ist zu der Zeit, in der der Roman spielt, ebensowenig der „Sommeraufenthalt des Prinzen" wie das Johanniter-Palais seine Wohnung ist. Ferdinand lebte seit 1802 in Rheinsberg, und Friedrichsfelde war längst in den Besitz der Prinzessin von Holstein-Beck übergegangen; von 1813 bis 1815 lebte König Friedrich August von Sachsen dort. Fontane hat all dies genau gewußt, denn er selbst hat die Geschichte des Schlosses Friedrichsfelde in den Wanderungen geschildert, in einem Aufsatz, der 1871 zuerst erschien und dann über den Band Ost- Havelland von 1873 schließlich in den 4. Teil, Spreeland, gelangte. Wenn also Fontane in der Beschreibung des prinzlichen Arbeitszimmers die historischen Fakten außer acht läßt und gerade das Schloß Friedrichsfelde als Gemälde in den Raum hineinnimmt, so kommt diesem Detail eine besondere Bedeutung zu. Friedrichsfelde ist ein Ort, an dem sich ein Teil preußischer Geschichte ereignet hat, und es ist eben dieser historische Gehalt, den Fontane an diesem Schloß schätzt und den er in den Wanderungen vom Mittelalter an Revue passieren läßt. Bezeichnend ist dabei, daß Friedrichsfelde in der preußischen Geschichte nie eine zentrale Rolle gespielt hat - wie Prinz Ferdinand auch, von dem der Erzähler sagt, er sei „von Natur unbedeutend" und „sich dieser Unbedeutendheit bewußt" gewesen (II/11). Es fällt nur ein Abglanz der „großen Zeit" auf dieses Schloß; es ist in jeder Hinsicht eine Kopie, „Seitenstück und Nachahmung des Rheinsberger Schlosses", wie Fontane sagt (Wanderungen IV, 149). Fontane selbst betont das in seinem Wanderungen-Kapitel, wenn er schreibt: „Natürlich war auch das Friedrichsfelder Leben dem Rheinsberger verwandt, nur blasser, insipider." Alles in allem ein eher zwiespältiger Eindruck, den dieses Schloß macht, und eben dieser Zwiespalt ist es, der es als Wandschmuck im Berliner Arbeitszimmer des Prinzen Ferdinand im Zusammenhang der Romanhandlung so geeignet erscheinen läßt. Die weite Entrücktheit der „großen Zeit" - eine Zeit, die im Fried- richsfelde-Kapitel der Wanderungen Schloß Rheinsberg repräsentiert - wird im Roman durch eine dreifache Filterung sinnfällig: Zum einen durch den auktorialen Hinweis, wonach das geschilderte Berlin ein „Alt-Berlin" sei, zum zweiten durch ein in diesem Alt-Berlin gesehenes Bild, das auf ein Schloß verweist, dessen große Zeit auch vorbei ist und das seinerseits - zum dritten - nur ein Abglanz eben jenes „großen" Rheinsberg ist und alles dessen, wofür Rheinsber'g steht. Daß auch Prinz Ferdinand selbst ,in effigie neben diesem Landschaftsbild hängt, unterstreicht diesen artifiziellen Charakter noch zusätzlich.
Berlin ist in dem ohnehin handlungsarmen Roman ein Ort, in dem besonders wenig .gehandelt' wird. Das zeigt nicht erst das Gespräch zwischen Berndt, Ladalinski und , Prinz Ferdinand. Schon im 7. Kapitel des 1. Bandes, als Berndt von seiner Reise nach Berlin berichtet, wird deutlich, daß die Hauptstadt und die Politik, für die sie steht — die abwartende Haltung Friedrich Wilhelms III. und Hardenbergs - eher handlungshemmend wirken, was Berndts Kampfpläne ängeht, und, damit verknüpft, auch den Fortgang der Romanhandlung. Der eigentliche Handlungsraum des Romans ist fraglos die märkische Provinz mit Hohen-Vietz als Mittelpunkt. Aber provinzielle Enge, die man in dem märkischen Dorf und seinen Bewohnern vermuten könnte, trifft man dort nicht an. Im Zentrum des Hohen-Vietzer Herrenhauses, in Berndts Arbeitszimmer, hängen „mehrere Spezialkarten von Rußland", an denen „Zahllose rote Punkte und Linien [...] deutlich [...] zeigen, daß mit dem Zeitungsblatt in der Hand zwischen Smolensk und Moskau bereits viel hin und her gereist worden war" (I/36), hier werden Briefe empfangen und - wie übrigens auch im Hohen-Vietzer Dorfkrug - hauptstädtische Zeitungen gelesen: Die Verbindungen zur Außenwelt und zur aktuellen Weltpolitik sind hier weit deutlicher zu spüren als in dem Arbeits-
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