zimmer des Prinzen Ferdinand, wo eine längst vergangene „große Zeit" nurmehr in Gemälden zitiert wird.
Das Hohen-Vietzer Herrenhaus ist indessen kein geschichtsloses Haus, kein Ort der bloßem Tagespolitik. Im Gegenteil blickt Haus Vitzewitz auf eine reiche Historie zurück, die Fontane im 2. Kapitel des 1. Bandes ausführlich nacherzählt. Die Familie der Vitzewitze hat aktiven Anteil an der europäischen Geschichte genommen, wie etwa mit dem Kunstgriff der Einführung eines Brüderpaars sinnfällig wird, das im Dreißigjährigen Krieg auf verschiedenen Seiten steht. Dieser herausgehobenen Stellung der Familie Vitzewitz entspricht die äußere Lage ihres alten Schlosses. Schon in dem Wort ,Haus' sind ja die Bedeutungen von .Gebäude' und .Familie' verschmolzen, und so ist es nicht unwichtig, ob das Herrenhaus oben auf dem Hügel steht und frei über das Land blicken kann, oder ob es von dem Hügel herabsteigen muß: Dem äußerlichen Abstieg des Hauses - dem Neuaufbau eines schlichteren Gebäudes am Fuße des Hügels nach der Zerstörung des Schlosses durch die kaiserlichen Truppen - entspricht ein innerer Niedergang, eine Parallelität, die auch den Romanfiguren selber bewußt ist. Bei der Einweihung des „Bankettsaals", dem Anbau an das neue Herrenhaus, in dem später der Brudermörder Matthias von Vitzewitz spukt, hält der alte Rochus von Vitzewitz „eine Ansprache an die Versammelten, die der Überzeugung Ausdruck gab, daß das Haus Vitzewitz auch wieder .bergan' ziehen und nicht immer .geduckt unterm Winde' stehen werde. All Ding, so etwa schloß er, habe seine Zeit, auch Krieg und Kriegesnot, und der Tag werde kommen, wo seine lieben Freunde und Nachbaren wieder auf der Höhe bei ihm zu Gaste sein und frei ostwärts mit ihm blicken würden." (I/20) Diese Hoffnung erfüllt sich jedoch in einer anderen Weise, als Rochus es sich gewünscht haben mochte. „Bergan" ziehen fürderhin nämlich nur noch die Begräbniszüge, wenn Familienmitglieder gestorben sind: Rochus selbst wird „bergan in die Gruft unterm Altar" (I/20) getragen, seinen Sohn Matthias trägt- man „bis zur alten Hügelkirche hinauf" (I/24), und Berndts Ehefrau schließlich „trugen sie die alte Nußbaumallee hinauf, bis an die Hohen-Vietzer Kirche" (I/33). Die Gräber sind es nun, die die .eigentliche' historische Identität der Vitzewitze verbürgen, und ganz folgerichtig wird der Sarg des alten Rochus mit den „Wappentafeln" (I/20) seines Hauses geschmückt und wird Berndts Gattin in „Gottes märkische Erde" (I/33) gesenkt. In engem Zusammenhang damit steht allerdings auch jenes schwer erträgliche Blut-und-Boden-Pathos - und das ist ganz wörtlich gemeint: „Da hab ich (.. .] erfahren, was Erde ist, Heimaterde. Es muß Blut drin sein. Und überall hier herum ist mit Blut gedüngt worden" (1/235) -, in das Berndt im 13. Kapitel des 2. Bandes verfällt.
Die traditionsbildende Funktion der Gräber wird im Roman noch in einem anderen Zusammenhang zum Thema. Gerade wegen dieser historischen Funktion nämlich sind Gräber und vor allem Grabbeigaben für den Prediger Seidentopf ein Gegenstand seines Sammlerinteresses. In seinem Streit mit dem Justizrat Turgany über die Volkszugehörigkeit der frühesten Einwohner der Mark - Germanen oder Slawen - werden die Funde in den „Totentöpfen" zu Indizien für die gegenständlichen Auffassungen der beiden Kontrahenten. Aber obgleich der Disput, wie er sich vor allem um den angeblichen „Wagen Odins" entspinnt, einerseits ein Beleg für die große Bedeutung ist, die das Wissen um das .Herkommen' für die Menschen hat, zeigt er doch andererseits auch die Grenzen solcher Suche nach den Wurzeln auf. Über der Diskussion um die Herkunft und die historische Einordnung dieses Wagens tritt im Bewußtsein Seidentopfs und Turganys die aktuelle Politik gänzlich in den Hintergrund, wie
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