Nun ist aber die Geschichte der ,Effi Briest' so vieldeutig wie die Protagonistin selbst. Deutungsversuche, die in ihr nur eine „Daseinsform vor aller sozialen Ordnung und Einordnung" erkennen wollen, zielen an der Problematik dieses Romans vorbei. 4 Fontane hat seiner Effi vielmehr eine charakteristische Doppelrolle zugeteilt, in der ihr beides zukommt: gesellschaftliche Unbefangenheit und zugleich ge- sellschaftsgebundenes Rollenspiel. Wie Fouques Undine hat sie ihre Naturhaftigkeit hinübergenommen in den naturfernen Bereich gesellschaftlicher Normen. Sie will die Liebe, sie will aber zugleich Glanz und Ehre. Daß das eine mit dem anderen nicht zur Deckung zu bringen ist, daran wird Effi letztlich zugrunde gehen.
Doch zurück zum Ausgangspunkt. Wenn der Effi-Gestalt, im beschriebenen Sinne, eine in sich widersprüchliche Natur eigen ist, so liegt der Verdacht nahe, daß Fontane auch in den Spiegelungen der Bild- und Zeichensprache die Eindeutigkeit der Darstellung zugunsten einer Mehrdeutigkeit aufgehoben hat. Daß dem so ist, daß die Bilder und Zeichen des Romans oft in vielfältiger Verschränkung, in meisterhafter Synchronie die doppelte Perspektive in der psychischen Konstitution der Protagonistin zur Darstellung bringen, auf diesen Umstand werden sich unsere weiteren Ausführungen konzentrieren.
Fontane war darauf bedacht, seiner Effi-Gestalt im weitläufigen Raum der Geschehnisse einen ganz privaten und intimen Ort zuzuteilen, an dem, vergleichbar mit dem See des alten Stechlin, die Person in den Handlungsraum übersetzt erscheint. Auf der Parkseite des Briestschen Herrenhauses zu Hohencremmen fällt dem Leser gleich zu Anfang des Romans ein eigentümliches Rondell in den Blick. Daran ist zunächst nichts Auffälliges. Fontane hat seine Vorliebe für Gärten und Parks vielerorts dokumentiert. Die Tatsache aber, daß Effi an diesem Ort ihre letzte Ruhe finden wird, rückt diesen Gartenflecken für den Romanzusammenhang in ein ganz besonderes Licht. Zudem taucht es an den für Effi entscheidenden Situationen des Romans leitmotivisch immer wieder auf. So zum Beispiel im großen Gespräch zwischen Mutter und Tochter vor der Verehelichung Effis mit dem Baron Innstetten. In allen Phasen des Gesprächs lenkt Fontane den Blick des Lesers immer wieder aufs Rondell, als ob der Ort eine besondere Bedeutung hätte angesichts der Pläne, welche die ehrgeizige Mutter auf Kosten (zum Teil aber auch mit Zustimmung)) der Tochter zu realisieren trachtet. Später, bei Effis erstem Besuch im Elternhaus, tritt das Rondell wieder ins Blickfeld. Zwar findet das neuerliche Gespräch zwischen Mutter und Tochter diesmal im Hause statt, doch weiß der Erzähler immer wieder davon zu berichten, daß ihr Blick durchs Fenster auf das Rondell fiel. Wo es um das Wohl und Wehe Effis geht, so scheint es, darf dieser Flecken im Garten nicht ausgespart bleiben. So auch an einer anderen prägnanten Stelle des Romans. Nach der Kopenhagenreise und den Eindrücken am Herthasee ist Effi wieder für einige Tage im Elternhaus. Allein am Fenster, fällt ihr Blick auf das mondhelle Rondell. Und dieser Eindruck löst in ihr die Frage nach der Schuld ihres Daseins aus. In einem inneren Monolog gipfelt gleichsam die Handlung um Effi, wobei Fontane zu erkennen gibt, inwieweit die innere Entwicklung der Protagonistin in fast naturmagischer Weise gebunden ist an jenes leitmotivische Terrain auf der Gartenseite des Briestschen Hauses.
Die direkte Identifizierung von Ort und Person geschieht schließlich beim letzten Aufenthalt im Hause der Eltern. Effi, vom Arzt gedrängt, das väterliche Haus zu einem Kuraufenthalt an der Riviera vorübergehend zu verlassen, weist die Ihren unmißverständlich darauf hin: .... hier ist meine Stelle." Und im weiterführenden Satz macht sie deutlich, wo genau diese ihre Stelle zu finden ist. „Der Heliotrop unten auf dem Rondell, um die Sonnenuhr herum, ist mir lieber als Mentone ." 5 Es ist nach dieser Gleichsetzung von Ort und Person nur stimmig, wenn nach Effis Tod Fontane auch das Rondell auf ganz spezifische Weise sich wandeln läßt:
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