„Auf dem Rondell hatte sich eine kleine Veränderung vollzogen, die Sonnenuhr war fort, und an der Stelle, wo sie gestanden hatte, lag seit gestern eine weiße Marmorplatte, darauf stand nichts als ,Effi Briest' und darunter ein Kreuz. Das war Effis letzte Bitte gewesen: ,Ich möchte auf meinem Stein meinen alten Namen wieder haben; ich habe dem andern keine Ehre gemacht.' Und es war ihr versprochen worden. Ja, gestern war die Marmorplatte gekommen und aufgelegt worden, und angesichts der Stelle saßen nun wieder Briest und Frau und sahen darauf hin und auf den Heliotrop, den man geschont und der den Stein einrahmte. a (294 f.)
Der Ort hat durch diesen Akt den Namen Effis erhalten, mit der Grabstelle fallen Ort und Person, Bild und Wesen gleichsam in eins.
Dennoch: Das Rondell steht nicht allein als poetisches Zeichen für die Verbundenheit Effis mit ihrem Vaterhaus. Diese Deutung wäre zu einseitig. Fontanes Betonung des Details bliebe hier unbeachtet. Es ist notwendig, auf die prägnanten Einzelheiten dieses Gartenfleckens einzugehen, um von daher auch die Einzelheiten von Effis Geschichte abbildhaft verschlüsselt wiederzufinden. Faßt man alle Erwähnungen des Rondells zusammen und versucht, die Akzente zu verstehen, die Fontane gesetzt hat, so wird man nicht um die Feststellung herumkommen, daß es nur ein Bild ist, welches dem Rondell sein eigentümliches Gepräge gibt: das Bild einer Blume. Es ist der Heliotrop, auf den der Blick des Lesers, geleitet durch Fontanes Fingerzeig, immer wieder fällt. Dieser Blume wird am Ende, bei der Umgestaltung des Platzes, Schonung zuteil, und sie erhält den Vorzug, das Grab Effis zu schmücken und zu bezeichnen. Doch schon ganz zu Anfang, kurz vor dem Weggang Effis aus dem Hause ihrer Eltern, wird dem Heliotrop durch die Worte Effis eine Bedeutung zugesprochen, die dieser Blume für den gesamten Romanverlauf ihr Gepräge gibt:
„Eine Woche später saßen Mutter und Tochter wieder am alten Fleck, auch wieder mit ihrer Arbeit beschäftigt. Es war ein wunderschöner Tag; der in einem zierlichen Beet um die Sonnenuhr herum* stehende Heliotrop blühte noch, und die leichte Brise, die ging, trug den Duft davon zu ihnen herüber. ,Ach wie wohl ich mich fühle', sagte Effi, ,so wohl und so glücklich; ich kann mir den Himmel nicht schöner denken. Und am Ende, wer weißt, ob sie im Himmel so wundervollen Heliotrop haben." (29)
Zwischen dieser Erwähnung und dem wiederum im Zeichen des Heliotrop stehenden Schlußtableau findet diese Blume stets neue Erwähnung. Wir wollen die Einzelheiten hier nicht aufzählen, da die bedeutsamen Erwähnungen zu Anfang und zu Ende des Romans diesem Fontaneschen Requisit bereits genügend Gewicht verleihen. Fontane, der nicht allein durch seine Apotheker-Ausbildung ein intimer Kenner der Pflanzenwelt war, hat an anderer Stelle sein Interesse am Heliotrop bekundet und darauf hingewiesen, daß es „das eigentümliche Parfüm des Wortes" 6 war, welches sein Interesse an dieser Blume erregte. Zum Teil rührt dieses Interesse sicherlich vom fremden Klang des Wortes her, zumal in Fontanes Dichtung stets die Tendenz erkennbar ist, das Bekannte und Heimische durch die (oft namentliche) Erwähnung des Exotisch- Fremden auf eigentümliche Weise zu ergänzen.
Zunächst verbindet sich mit dem Bild des Heliotrop, wie die neuere Forschung überzeugend zum Ausdruck gebracht hat, Fontanes „optimistische Anthropologie", seine Überzeugung von „einer natürlichen Gutheit des Menschen". In diesem Sinne sei er „seit der Antike das Sinnbild für das Streben des Menschen zu Gott gewesen ". 7 Der Bezug zu Effi liegt auf der Hand, besonders dann, wenn man in der Protagonistin das von der Gesellschaft sich abwendende, sich zum Licht hinwendende Naturkind sieht. ,
Im Bilde des Heliotrop (und damit auch in der Gestalt der Effi) verbirgt sich jedoch mehr als Fontanes Überzeugung einer„natürlichen Gutheit des Menschen". Damit ist im Grunde nur der sinnfällige Teil, die äußere Kontur des eigentümlichen Blumenbildes zum Ausdruck gebracht. Es fehlt der notwendige Komplementäraspekt, die den Roman bestimmende Einsicht, daß eine „optimistische Anthropologie" angesichts der beschriebenen gesellschaftlichen Verhältnisse zum Scheitern verurteilt ist.
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