Heft 
(1990) 49
Seite
35
Einzelbild herunterladen

Fontane hat diese entscheidende Einsicht wiederum mit dem Bilde des Heliotrop ver­bunden.

In der Forschung ist diese erweiternde Dimension bisher nicht zur Kenntnis ge­nommen worden. Lediglich in den Anmerkungen zu ,Effi Briest', wie sie in der Werk­ausgabe des Hanser-Verlages zu finden sind, klingt etwas an von der möglichen Spann­weite des Heliotrop-Bildes. Und zwar ist dort die Rede davon, daßder Heliotrop eine eigenartige helldunkle Stimmung" bei Fontane verbildlicht, ähnlich wie die Im­mortellenBilder eines duftlosen, wehmütig kargen Todes" sind. (759) Die Frage bleibt (sieht man einmal ab von dem Umstand, daß der Heliotrop letztlich auf Ef- fis Grab wachsen wird), woher, auf den Zusammenhang des Romans gesehen, die­sem Blumenbild ein solchhelldunkler" Beiklang zuwächst.

Es ist unwahrscheinlich, daß Fontane, der immer wieder sein Interesse an dieser Pflanze bekundet hat, nioht die gängigen Enzyklopädien konsultiert hätte, umdas eigentümliche Parfüm des Wortes" wenigstens aus botanischer Sicht deuten zu kön­nen. Spätestens da muß es (was dem naturwissenschaftlich geschulten Apotheker höchstwahrscheinlich schon früher bekannt war) Fontane aufgefallen sein, daß die­ses Wort ein Doppelbild aus sidh entläßt, das einer Blume und das eines Steins, näm­lich des orientalischen, grünrot gefleckten Jaspis, der gemeinhin Blutjaspis oder auch Blutstein genannt wird. 8 Der Blutjaspis galt schon früh als Sinnbild der Pas­sion. Er ist der Stein der Flagellanten und Märtyrer und wurde im Mittelalter von Bildhauern als Material zur Darstellung des menschlichen und göttlichen Leidens ver­wendet. Ob Märtyrerstein oder Blutstein, der Sprung von diesem Bedeutungsfeld zur Effi-Gestalt wäre nicht sehr groß, wenn es gelänge, nicht bei der bloßen Vermutung stehenzubleiben, sondern vom Romanzusammenhang her deutlich zu machen, daß die Steinmetaphorik der bereits aufgezeigten Blumenmetaphorik beigeordnet ist.

Der Text bestätigt durchaus unsere Vermutung. Dem zentralen Blumenbild ent­spricht im Roman das nicht weniger zentrale Bild der Steine. Nicht irgendwelche Steine sind es, sondern ebenBlutsteine", Monumente einer grausamen Vorzeit, die auf den ersten Blick gar nicht einzufügen sind in die Ehegeschichte Effi Briests. Auf der Reise der Innstettens an die Ostsee, mithin im Wendepunkt des Romans, treten sie zum ersten Male in Erscheinung:

. ein Mann von mittleren Jahren trat alsbald an unsere Reisenden heran. Er sah so wichtig und feierlich aus, als ob er mindestens ein Adjunkt bei dem alten Herthadienst gewesen wäre. Der von hohen Bäumen umstandene See lag ganz in der Nähe, Binsen säumten ihn ein, und auf der stillen, schwarzen Wasserfläche schwammen zahlreiche Mummeln.

Es sieht wirklich nach so was aus', sagte Effi, ,nach Herthadienst.'

Ja, gnädige Frau . . . Dessen sind auch noch die Steine Zeugen.'

»Welche Steine?'

Die Opfersteine.'

Und während sich das Gespräch in dieser Weise fortsetzte, traten alle drei vom See her an eine senk­rechte, abgestochene Kies- und Lehmwand heran, an die sich etliche glatt polierte Steine lehnten, alle mit einer flachen Höhlung und etlichen nach unten laufenden Rinnen.

.Und was bezwecken die?'

Daß es besser abliefe, gnädige Frau."

Und als Nachtrag zu dieser makabren Szene bemerkt Innstetten anschließend zu Effi:

Du kannst den Herthasee nicht vergessen und noch weniger die Steine.' Sie nickte. ,Es ist so, wie du sagst. Und ich muß dir bekennen, ich habe nichts in meinem Leben gesehen, was mich so traurig ge-

gestimmt hätte." (211)

Am Ende des Romans, wenn Crampas' Blut längst geflossen ist und Effi im Hause ih­rer Eltern sich innerlich schon auf ihr Ende vorbereitet,' wird im Gespräch mit Jahnke noch einmal die Erinnerung an die Blutsteine vom Herthasee beschworen:

35