Heft 
(1990) 49
Seite
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-.Und denken Sie sich, Jahnke, dicht an dem See standen zwei große Opfersteine, blank und noch die Rinnen drin, in denen vordem das Blut ablief. Ich habe von der Zeit an einen Widerwillen gegen die Wenden.'

,Ach, gnädige Frau verzeihen. Aber das waren ja keine Wenden. Das mit den Opfersteinen und mit dem Herthasee, das war ja schon wieder viel, viel früher, ganz vor Christum natum; reine Germanen, von denen wir alle abstammen . . .'" (280).

' Diese Zeilen lassen keinen Zweifel daran, daß das Bild der. Blutsteine Effi bis an ihr Lebensende verfolgt, ja, daß ihr Leben und ihr Lebensende in einem unausgespro­chenen Zusammenhang stehen zu jenen grauenvollen Monumenten am Herthasee. Jahnkes Rede, die erst die Steine berührt, dann die Germanen und schließlich in einer seltsam betonten Wendung dasWir" mit ins Spiel bringt, ist Fontanes unmiß­verständlicher Fingerzeig dafür, daß von den Steinen zumWir" eine durchlaufende Verbindung erkennbar ist, daß die Bilder der Vorzeit hineinragen in die historische Situation eines Jahnke und einer Effi Briest . 9

Mögen die Blutsteine am Herthasee auch nur der Phantasie Fontanes entspringen, jene anderen Blutsteine, die Fontane durch den Mund von Crampas indirekt erwähnt, sind durchaus bezeugt. Der spanische Conquistador Cortez mußte Zusehen, wie auf ih­nen seine Landsleute von den Azteken hingeschlachtet wurden. Heinrich Heine hat in seiner ,Vitzliputzli'-Romanze über dieses Blutbad, über die rituelle Opferung der Spa­nier auf den Blutsteinen der Azteken berichtet, und Fontane weiß diese Heinesche Re­miniszenz im Vorfeld der Geschichte von Verführung und Ehebruch anzubringen.

-,Vitzliputzli ist nämlich ein mexikanischer Gott, und als die Mexikaner zwanzig oder dreißig Spanier gefangen genommen hatten, mußten diese zwanzig oder dreißig dem Vitzliputzli geopfert werden. Das war nicht anders, Landessitte, Kultus, und ging auch alles im Handumdrehen, Bauch auf, Herz raus . . (138).

Hier haben wir eine bedeutsame Variation des zentralen Bildes der Blutsteine, auch wenn sie selbst nicht erwähnt werden. Doch wenn von Opfersteinen die Rede ist, so stellt sich zunächst einmal die Assoziation Azteken/Vitzliptitzli" ein und nicht etwa der Gedanke an die Germanen im Ostseeraum. Insofern ergänzt Fontane mit dem Vitz- liputzli-Motiv in bedeutsamer Weise den Bildkreis der bedrohlichen Steine. Vitz­liputzli bleibt keine Episode in der Geschichte Effi Briests. Er wird, gebunden an das Bild der Steine, zur Verkörperung jener den Roman bestimmenden Kraft, die Innstet- ten später im Gespräch mit Wüllersdorf alsGesellschaftsetwas" apostrophiert.

In direkterer Weise als im Vitzliputzli-Motiv wird gleich im ersten Kapitel auf die Steine gewiesen. Und zwar in einem Kontext, der keinen Zweifel daran läßt, daß hier das zentrale Anliegen des Romans in einer ersten Variation erscheint. Die Szene er­gibt sich ganz beiläufig aus dem Spiel der Kinder. Doch was Fontane hier, wiederum in Verbindung mit Steinen,ins Bild setzt, ist die Vorwegnahme'von Effis Geschichte. Banaler Anlaß ist der Plan der Kinder, die Überreste des gemeinsamen Stachelbeeres- sens im Teich zu versenken:

... Herta, du mußt nun die Tüte machen und einen Stein hineintun, daß alles besser versinken kann. Und dann wollen wir in einem langen Trauerzug aufbrechen und die Tüte auf offener See begraben.' Wilke schmunzelte: Is doch ein Daus, unser Fräulein, so etwa gingen seine Gedanken. Effi aber, während sie die Tüte mitten auf die rasch zusammengeraffte Tischdecke legte, sagte: .Nun fassen, wir alle vier an. jeder an einem Zipfel und singen was Trauriges.' ,Ja, das sagst du wohl, Effi. Aber was sollen wir denn singen?'

.Irgendwas; es ist ganz gleich, es muß nur einen Reim auf ,u' haben: ,u' ist immer Trauervokal. Also singen wir: Flut, Flut, Mach alles wieder gut . . .'

Und während Effi diese Litanei feierlich anstimmte, setzten sich alle vier auf den Steg hin in Bewegung, stiegen in das dort angekettete Boot und ließen von diesem aus die mit einem Kiesel beschwerte Tüte langsam in den Teich niedergleiten.

.Herta, nun ist deine Schuld versenkt', sagte Effi, .wobei mir übrigens einfällt, so vom B oot aus sollen früher auch arme unglückliche Frauen versenkt worden sein, natürlich wegen Untreue.'

.Aber doch nicht hier'.

.Nein, nicht hier', lachte Effi, .hier kommt so was nicht vor. Aber in Konstantinopel' . . .* (14 f.)

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