Oder in Kessin, möchte man hinzufügen, um die Nähe zu betonen, die dieses Spiel für die sich um Effi entwickelnden Ereignisse gewinnen wird. Bezeichnend ist der Umkreis von Untreue und Schuld der Frauen, dazu die „Entsühnung" durch einen gewaltsamen Tod, welcher, wie im Bilde der Monumente am Herthasee, durch Steine und Wasser bezeichnet ist. Hier läßt Fontane sein Leitthema zum ersten Male anklin- gen, und zwar so, daß zwischen Anfang und Ende, zwischen harmlosem Kinderspiel und der unbarmherzigen gesellschaftlichen Wirklichkeit, an welcher Effi zerbrechen wird, ein unmittelbarer Zusammenhang hergestellt wird.
Fontane bleibt auch im weiteren Verlauf des Romans der im spezifischen Bilde und der Bildverschränkung sich ausdrückenden Thematik treu. Auf der Rückfahrt von Uvagla, in jener Szene also, in der sich alles entscheiden wird, hat Effi ein Gespräch mit Sidonie von Grasenabb, in dem letztere Effis Gefährdung und die Ursache für diese Gefährdung in bezeichnenden Worten zum Ausdruck bringt:
..Sie sollten sich nicht so sehr nach links beugen, meine gnädige Frau. Fährt der Schlitten auf einen Stein, so fliegen Sie hinaus, Ihr Schlitten hat ohnehin kein Schutzleder und, wie ich sehe, auch nicht einmal einen Haken dazu.' ,Ich kann die Schutzleder nicht leiden; sie haben so was Prosaisches. Und dann, wenn ich hinausflöge, mir war es recht, am liebsten gleich in die Brandung.'" (157)
Auch hier erscheinen also, das zentrale Bild variierend, wiederum die Steine als jene die Gefährdung bezeichnende Kraft, - ergänzt, wie bereits im ersten Kapitel, durch das Bild des Wassers. Und es wird noch ein weiteres aus diesem Gespräch deutlich, nämlich daß Effi nicht gewillt ist, ihr Leben auch über diese Schlittenpartie hinaus durch Haken und Schutzleder zu sichern. In dieser Weise, das machen ihre Worte deutlich, erhalten die Bilder der Gefährdung (hier in der Variation der Steine) einen untergründigen Reiz für Effi. Sie sind also nicht nur Zeichen einer äußerlichen, bedrohlichen Wirklichkeit; sie sind gleichzeitig Anhaltspunkte dafür, daß die Gefährdung in Effi selbst angelegt ist.
Furcht und gleichzeitig Faszination löst auch ein weiterer Stein aus, der dem Leser des öftern ins Blickfeld gerät. In Kessin bemerkt Effi einen eingegitterten Grabplatz außerhalb des Friedhofes, auf dem ein „weißer Stein in der Nachmittagssonne blinkte und blitzte". (114) Es ist der Grabstein des mysteriösen Chinesen, dessen Geschichte sie anzieht und ihr gleichermaßen Angst einflößt: „,Ja, schauerlich, und ich möchte wohl mehr davon wissen. Aber doch lieber nicht, ich habe dann immer gleich Visionen und Träume . . ." (46) Immer wieder tritt an markanten Stellen dieser „blitzende" Grabstein in Erscheinung. Zum letzten Male nach Effis entscheidendem Gespräch mit Crampas, wo der Stein ihr gleichsam als Warnung ins Auge fällt: „Gleich danach passierten sie den' Hohlweg zwischen dem Kirchhof und der eingegitterten Stelle, und Effi sah nach dein Stein und der Tanne, wo der Chinese lag." (133) Geht man vom Ende des Romans aus, von dem bedeutungsvollen Umstand, daß Fontane Effis Grabstein zum letzten markanten Bild seiner Geschichte macht, so ergeben sich die Verbindungslinien von selbst. Die Geschichte des Chinesen und sein für Effi unheimliches Fortleben in Kessin, beides markiert durch den Stein, kann nicht getrennt gesehen werden von der inneren und äußeren Entwicklung der Titelfigur.
Wir erwähnten es bereits: Der Stein auf Effis Grab ist-die letzte und wohl gewichtigste Variation der Steinmetapher in der zuvor beschriebenen Bildkette. Die Vorstellung der Blutsteine ist darin zu Ende geführt und aufgehoben. Zuvor schmückte eine Sonnenuhr das Heliotrop-Rondell. Auch darin lag wie im Heliotrop beides: der Bezug auf Naturhaftigkeit und Lichtsymbolik und der Hinweis auf jenen von der Zeit bestimmten Bereich von „Glanz und Ehre", in dem die natürliche Gutheit des Menschen sich in ihr zerstörerisches Gegenbild verkehrt. Der marmorne Grabstein hat die Sonnenuhr verdrängt, doch weist er immer noch zurück auf Effis Lebenszeit, die
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