Heft 
(1990) 49
Seite
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gleichermaßen unter dem Blumenbild wie unter dem Zeichen des Blutopfers stand. In diesem Sinne ist das Heliotrop-Rondell zum bildhaften Integrationspunkt von Effis Lebensgeschichte geworden. Von hier aus ergaben sich uns die verschlüsselten Hin­weise auf die widerspruchsvollen Seiten ihres Wesens, auf ihre elfenhafte Bindung an einen lichten und harmonischen Bereich der Natur und zugleich auf ihre schuld­haften Verstrickungen, ihre latente Selbstgefährdung und ihre Bedrohung durch die unmenschlich starren Strukturen der (historisch und geographisch genau fixierten) menschlichen Gesellschaft.

Das Rondell im Garten der Briests, die Blutsteine vom Herthasee mit allen be­schriebenen Variationen sind folglich nicht beliebige Requisiten des Romans. Sie erzählen vielmehr das unumgängliche Geschick der Effi Briest in einer Gesellschafts­struktur, in der Prinzipien und Grundsätze jeden direkten Zugang zum Leben ver­bauen. Mithin gelingt Fontane zweierlei mit seinem zentralen Bild: Er skizziert die Möglichkeit des Daseins aus der Unbefangenheit und deutet gleichzeitig auf die töd­liche Befangenheit des Menschen, wobei diese tödliche Kraft nicht allein von außen hereinbricht, sondern in der Protagonistin als Gegenbild und Konsequenz zu allem Unschuldigen und Lichtvollen mit angelegt ist.

Es gibt eine Stelle im Romanwerk Theodor Fontanes, die das Bild von der Un­schuld, Verstrickung und Entsühnung einer jungen Frau noch einmal im Bilde der Blutsteine" vorführt. Gemeint ist das Märchen der Prinzessin von Siam, das uns im ,Stechlin' erzählt wird. Auch hier geht es um einen Akt gesellschaftlicher Gewalt und den Wunsch des Opfers, in den Stand der Unschuld zurückfallen zu können:

. zu diesem Behufe wurde sie bald danach in eine Tempelhalle geführt, drin zwei mächtige Wannen standen, eine von rotem Porphyr und eine von weißem Marmor, und zwischen diesen Wannen, auf einer Treppe, stand die Prinzessin selbst. Und nun wurden drei weiße Büffel in die Tempelhalle gebracht, und der Hohepriester trennte mit einem Schnitt jedem der drei das Haupt vom Rumpf und ließ das Blut in die danebenstehende Porphyrwanne fließen. Und jetzt war das Bad bereitet, und die Prinzessin, nachdem siamesische Jungfrauen sie entkleidet hatten, stieg in das Büffelblut hinab, und der Hohepriester nahm ein heiliges Gefäß und schöpfte damit und goß es aus über die Prinzessin . . . Direkt aus der Porphyr­wanne stieg die Prinzessin in die Marmorwanne, drin alle Wohlgerüche Arabiens ihre Heimstätte hatten, und alle Priester traten mit ihren Schöpfkellen aufs neue heran, und in Kaskaden ergoß es sich über die Prinzessin, und man sah ordentlich, wie die Schwermut von ihr abfiel und wie all das wieder aufglühte, was ihr der räuberische Nachbarfürst genommen . . .1 0)

Die Blutsteine des Herthasees, hier tauchen sie wieder auf, als Sinnbilder von Schuld, Gewalt und Opferung. Doch ihre Kraft ist gebrochen. Der Porphyr beherrscht nicht mehr das Geschehen. Das blutige Opfergefäß ist überwunden im Akt der Reinigung und Läuterung: dargestellt im Bilde des Marmors und derWohlgerüche Arabiens". Wir befinden uns, das sei nicht vergessen, im Phantasieraum des Märchens. Hier ist ein solchesPurgatorium" möglich und glaubwürdig. Die Geschichte Effis aber kann nicht ins Wunderbare ausweichen. Die Opfersteine bleiben dort unerbittliche, letzte Wirklichkeit. Dennoch ist eine trostvolle Verbindung zur Geschichte der siame­sischen Prinzessin nicht zu übersehen. Fontane beschließt seine Lebensbeschreibung der Effi mit einem letzten Blick auf ihre marmorne Grabplatte, eingerahmt vom duf­tenden Heliotrop. Ein Schlußtableau, das im Sinne der zitierten Passage des orienta­lischen Märchens die Elemente der Geschichte noch einmal aufnimmt und zugleich überwindet.

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