heimgesucht worden, die mit millionenfacher Vernichtung einhergingen. Die Sintflut, Hunger, Krieg, Pest, religiöse Verfolgung haben ganze Völker, ganze Gruppen dahingerafft, doch hat sich das Menschengeschlecht immer wieder erholt. Es hat nie den totalen Untergang gegeben, und zwar weder physisch noch psychisch. Auch die großen Ideen sind trotz aller Bedrängnisse lebendig geblieben (etwa im Christentum), denn „es kribbelt und wibbelt weiter". Fontane denkt dabei, ohne es ausdrücklich zu erwähnen, an das Gewimmel auf einem Ameisenhaufen, das, oberflächlich gesehen, dem Auge des naiven Betrachters ein zielloses Hin und Her von Tausenden von Einzelwesen darbietet: eben dieses Gewimmel. Dahinter steht aber die Ordnung eines wunderbaren Bauplanes für die Gesamtheit, in dem jedem Individuum genau festgelegte Aufgaben zur Erhaltung des Ganzen zugeteilt sind. Das Einzelwesen wird zwar in diesem Gesamtgefüge gemäß seines ihm bestimmten biologischen Lebensablaufes von Zeugung und Geburt über alle Entwicklungsphasen bis zum Tode schließlich zugrunde gehen, aber seine Spezies soll erhalten bleiben, jedenfalls solange es die Lebensbedingungen auf unserem Gestirn Erde erlauben. Dieses Lebensprinzip gilt für alle uns in milliardenfachen Ausprägungen umgebenden Organismen: also kurzes Leben des Einzelnen, aber Erhaltung der Gattung, und gilt somit auch für das Menschengeschlecht: es fluktuiert auf der Erdoberfläche in einem ständigen Kommen und Gehen, das ihm nolens volens als Lebensprogramm zugeteilt ist, das zu erfüllen es nicht umhin kann. Sofern man gemäß unseres Kausalitätsdenkens eine Zielgerichtetheit in der Natur zu erkennen glaubt, kann man eine gebieterische Notwendigkeit in diesem Ablauf sehen, vielleicht sogar etwas Positives. Aber man braucht auch keine wertenden Akzente zu setzen und nur das Phänomen zur Kenntnis nehmen, so wie es Fontane hier, bezogen auf das Menschengeschlecht, tut. Jedenfalls erweist sich Fontane hier keineswegs als „resignativer Misanthrop" mit einer „des- illusionierten Anschauung der Menschheit", wie ihn Kunert sehen will. Man könnte sich vorstellen, daß Fontane auf seinen täglichen Spaziergängen durch die Straßen Berlins, das im Begriff war, sich zur Weltstadt zu entwickeln, beim Anblick der Mengen von Menschen, denen er begegnete und die an ihm vorbeieilten, den Eindruck von Gewimmel hatte. Jedes Individuum auf ein Ziel hinstrebend, emsig, rührig, aber immer ohne Kontakt untereinander und in einer Art von Anonymität. Aber Fontane wird bei seinen Betrachtungen kaum wertende Akzente gesetzt haben, vor allem nicht den der maudite race. Kunert jedoch hört aus dem „Kribbeln und Wibbeln," eine abwertende, ablehnende Haltung heraus. Vor allem stößt Kunert sich an dem „Es". Er setzt dieses „Es" gleich mit Menschheit, die „auf ihren rein organischen Charakter reduziert" wird. Hier irrt Kunert. Dieses „Es" hat eine rein grammatische Funktion wie in Tausenden vergleichbaren Wendungen in unserer Sprache. Man braucht nur einmal ein alphabetisches Verzeichnis von Gedichtanfängen in einer Anthologie durchzusehen, um festzustellen, wie häufig dieses „Es" ist. Es weist also nur auf das Geschehen hin, nicht auf das Subjekt, den Handelnden. Insofern ist es falsch, in diesem „Es" eine von Fontane beabsichtigte „Disqualifizierung" des Menschengeschlechts zu sehen. —
Man kann auch nicht, wie Kunert es tut, Fontane unterstellen, daß er mit diesem Kribbeln und Wibbeln die „totale Sinnlosigkeit" der Menschheitsgeschichte gemeint hat. Fontane ist immer viel zu skeptisch, aber auch viel zu bescheiden gewesen, als daß er sich zu derartigen Behauptungen hätte hinreißen lassen. Fontane sagt hier wie auch sonst sehr oft: So ist es! Er sagt aber nicht: daß es so ist, ist sinnlos. Das Leben als solches trägt seinen Sinn in sich selber. Man kann ihn nicht von außen her auf Grund irgendwelcher Schlußfolgerungen hineininterpretieren und ebensowenig herausinterpretieren. Die Frage ob sinnvoll oder sinnlos läßt sich in bezug auf das Le-