Heft 
(1990) 49
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Nun zu dem Schluß dieser Interpretation: Kunert spricht von demStachel der Beun­ruhigung", weil der Leserden Blick nicht von den Termiten lassen kann, mit denen wir identisch geworden sind". Wieder muß man sagen, daß dieser Gedanke in dem RefrainEs kribbelt und wibbelt weiter" nicht enthalten ist. Kunert will mit der Iden­titätsbezeichnung etwa sagen, daß wir herabgesunken sind auf das Niveau von Ter­miten, worin gewiß menschliche Hybris steckt, auf die Kunert zu Beginn seiner In­terpretation in einem andern (übrigens auch anfechtbaren) Zusammenhang hinweist. Die Termiten bilden aber in ihrer gewaltigen, für unsern Blick wimmelnden Zahl einen wohlgeordneten Staat, in dem jedes einzelne Insekt seinen festen Platz, seine für es programmierte Aufgabe hat, die das ganze Gebilde erst ermöglicht und zu einer bewundernswerten Form gestaltet. Man kann Kunert vielleicht für seinen Ver­gleich einen kleinen Rest an Recht geben, insofern als die Termiten in ihrem mas­senhaften Auftreten den Charakter von Schädlingen haben, die die Umwelt anderer Organismen, also auch die des Menschen zerstören können. Noch sind wir aber trotz des weltweiten Anwachsens der Menschheit nicht mit Termiten identisch geworden, obwohl wir uns durchaus schon als Schädlinge im Naturgeschehen betrachten kön­nen. Man hat jedoch die Hoffnung, daß eine Selbstregulierung in der Natur wieder ein normales Gleichgewicht herstellen kann, und wenn nicht, so kann man in Ab­wandlung der Fontaneschen Worte sagen: Was liegt schon an unserem eigenen Glück! So möchte ich zum Schluß sagen, daß Kunert mit seinen düsteren apokalyp­tischen Vorstellungen keinen Zugang mehr hatte zu der im Grunde doch sehr schlich­ten Fontanischen Lebensweisheit und somit zu einer Fehlinterpretation des Gedich­tesEs kribbelt und wibbelt weiter" gekommen ist.

Yozo Tatsukawa, Tokyo

Fontanes Welt (Tokyo 1988)

Die Fontane-Renaissance. Eine Einleitung*

Wann kam denn in Deutschland .die neue WortbildungFontane-Renaissance" zu­stande? Zwar bin ich nicht in der Lage, darüber eine unbedingt genaue Angabe zu machen, aber ich glaube, soviel ich mich jetzt entsinnen kann, zum ersten Mal in einer der 1964 in der Bundesrepublik erschienenen Bücherschauen auf dieses Wort gestoßen zu sein. Seitdem hat es, wie mir scheint, begleitet von Adjektiven wie klein" bzw.still", doch nach und nach in der literarischen Welt der beiden deut­schen Staaten gewissermaßen das Bürgerrecht erworben ...

Seit Ende der fünfziger Jahre wurde eine Anzahl von Werken Fontanes wie um die Wette herausgegeben, was eben der oben erwähnten Fontane-Renaissance zugrunde lag, diese aber auch gleichzeitig förderte. Davon sollen hier lediglich drei größere Werkausgaben genannt werden:

(1) Sämtliche Werke, 24 Bände, hrsg. von Edgar Groß und Kurt Schreinert.

* Wir danken Herrn Prof. Tatsukawa für die Übersetzung der Einleitung und des Inhaltsverzeichnisses seines Fontane-Buches ins Deutsche und für die freundliche Genehmigung zur Publikation

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