Heft 
(1990) 49
Seite
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Als markante Beispiele einer neuen Geschichtsbetrachtung seien hier nur er­wähnt, die in der DDR 1980 erfolgte Rückführung des Denkmals Friedrich des Gro­ßen von Potsdam zu seinem einstigen Platz Unter den Linden, im Herzen der Haupt­stadt, sowie die 1981 in Berlin (West) veranstaltete großartige Preußen-Ausstellung. Was nun das heutzutage kleiner erscheinende Problem des bereits zu einem histo­rischen Faktum gewordenen Preußen betrifft, so mag es vom ostasiatischen Winkel aus, wo wir uns befinden, im großen und ganzen nur wie eine sehr ferne Szene aus- sehen.

Allein daß Fontane mit Preußen so intim verbunden war, darauf muß man doch besonders aufmerksam sein. In der Tat ist er Romancier geworden, indem er lange mitten im Strudel jener Zeit lebte, in der Preußen für ganz Deutschland, sogar für ganz Europa, eine immer größere Rolle spielte. Wie es damit für Fontane in Wirklich­keit stand, werde ich in den ersten Kapiteln beschreiben. Aber das Gewebe des Ver­hältnisses Fontanes zu Preußen ist im wahrsten Sinne des Wortes um so undurchsich­tiger, je länger und enger er mit der preußischen Zeitgeschichte verbunden war. Wenn seine Ansichten im Grunde genommen auch auf eine Kritik am Preußentum hinaus­laufen, so gewinnen sie doch nicht ohne weiteres eindeutige Konturen. Also wird es auch eine wichtige Aufgabe der vorliegenden Arbeit sein, solche komplizierten Bezie­hungen des Autors zu den Zeitverhältnissen aufzunehmen und dadurch den wahren Gehalt von Fontanes kritischem Preußen-Verhältnis zu untersuchen.

Man sagt, daß Fontane nicht nur Dichter Preußens war, sondern auch Dichter Ber­lins. Es ist auch in der Tat über sein Leben und Werk nicht einmal zu sprechen, wenn man diese eine Weltstadt werdende Residenz Preußens ausklammert; ja, es ist keine Übertreibung, wenn man behauptet, daß seine dichterische Welt, die gerade mit dieser bedeutenden Stadt, die nach der Jahrhundertwende zu einer Art Weltme­tropole aufstieg, schritthaltend aufwuchs, gewiß auch der Behandlung von einer stadtkundlichen Sicht aus bedarf. Auf jeden Fall war es für die Fontaneschen Dich­tungen von unendlich großer Bedeutung, daß er in Berlin seinen ständigen Wohnsitz besaß und dort seine schriftstellerische Tätigkeit entfalten konnte, und so wird meine Untersuchung auch mit diesem Aspekt viel zu tun haben.

Wie schon angedeutet, lernte nicht nur die Literaturwissenschaft im allgemeinen den Erzähler Fontane schätzen, sondern im besondern brachten auch bekannte Schriftsteller des 20. Jahrhunderts wie Thomas Mann, Uwe Johnson u. a., ihre Liebe und Achtung ihm gegenüber öffentlich zum Ausdruck. Aber andererseits ist nicht zu leugnen, daß mancher Fontanes Werk als einen etwas zu schwachen Gegenstand an­sieht, um mit einem scharfen Problembewußtsein darauf eingehen zu können, was lei­der den Schriften solcher führenden Kritiker wie M. Reich-Ranicki u. a. unverkenn­bar entnommen werden kann. Da man manchmal bei unseren Germanisten gleiche Stellungnahmen zu diesem Problem findet, so werde ich mich auch damit so gerecht wie möglich, auseinandersetzen; zählt dies doch zu den Beweggründen dafür, daß ich mich zur Abfassung dieses Buches entschloß.

Übrigens muß ich in diesem Zusammenhang vor allem noch die unvergleichbare, geradezu einzigartige Tatsache in der Literaturgeschichte erwähnen, daß er erst im Alter von etwa 60 Jahren als wirklich großer Romanschriftsteller auftrat. Und doch ist diese Tatsache nicht nur ein Beweggrund, sondern sie ist auch noch Gegenstand meiner Betrachtung. Meines Erachtens kann Fontane schon allein deswegen als er- forschenswertes literarisches Phänomen angesehen werden.

Dieses Buch entält - das ahnt man wohl schon beim Überlesen des Inhaltsver­zeichnisses - im zweiten Teil, dem umfangreichsten, der auch eine Mittelstellung ein-

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