dert er dann seine Kriegsbeobachtungen, arbeitet zwölf Jahre, von 1864 bis 1876, an diesen Büchern, die so wenig wie seine Balladen gekauft, aber viel getadelt werden, weil er alle patriotischen Phrasen vermied. Nebenher geht die Arbeit an den „Wanderungen". Und in ihm arbeitet, um den Durchbruch ringend, eine dichterische Vision, der Roman, der heute „Levin von Vitzewitz" heißen soll, und der einmal, nach fast fünfzehn Jahren vollendet, „Vor dem Sturm" heißen wird.
Schon im Frühjahr 1870 hat er, zum lauten Entsetzen der Frau Emilie, die an sich leichte Arbeitslast bei der Kreuzzeitung abgeworfen, weil der Chefredakteur das nach zehnjähriger Tätigkeit berechtigte Verlangen einer Altersversorgung ablehnte. Kurz darauf, im Juni 1870, kommt ein Vertrag mit dem Organ des Bürgertums, der Vossischen Zeitung, zustande, für die Fontane fortan zwanzig Jahre lang Theaterkritiken schreiben wird. Längst hat er sich damit abgefunden, daß sein Leben ein ewiges „Auf-dem-Qui-vive-Stehn", ein immerwährendes Überwinden bedeutet, daß er „erstens ein armes und zweitens ein unsichres Leben zu führen" hat. Aber: „Wichtig" ist alles „nur auf Stunden". Fast ein Menschenalter zähen Kampfs ums tägliche Brot, der Selbstverleugnung, Demütigung, Frustration liegt hinter ihm, seit er sein Leben auf die Kraft seiner Feder stellte. War es das unausweichliche „von Uranfang an Bestimmte", daß er in Kampf und Wunden sich selber finden sollte; die Dinge „sich selber machen ließ", um immer wieder im Ungewissen zu stehen, die Vorwürfe der Frau zu ertragen, die fleißig, geduldig seine dicken, von Korrekturen strotzenden Manuskripte ins Reine schreibt, weil das nützlich ist - weil ihr einfacher Sinn nur das ihr und den Ihren Nützliche schätzt?
Noch einmal will Freundeshilfe die häusliche Misere lindern, verschafft 1876 dem Sechsundfünfzigjährigen eine pensionsberechtigte Stellung als Sekretär der „Akademie der Künste". Frau Emilie ist selig, sieht den Gatten schon zum Geheimrat befördert. Aber: „Die Stelle ist mir, nach der persönlichen wie nach der sachlichen Seite hin, gleich sehr zuwider. Alles verdrießt mich; alles verdummt mich; alles ekelt mich an. Ich fühle deutlich, daß ich immer unglücklich sein, daß ich gemütskrank, schwermütig werden würde ..." Und: „... ich hatte mich zu entscheiden, ob ich, um der äußeren Sicherheit willen, ein stumpfes, licht- und freudeloses Leben führen oder ,die alte Unsicherheit bevorzugend, mir wenigstens die Möglichkeit heiterer Stunden zurückerobern wollte. Ich wählte das letztere, während meine Frau das erstere von mir forderte ..."
In Kürze hat er erkannt, was es heißt, preußischer Staatsbeamter sein: serviles Verhalten Vorgesetzten gegenüber, seelischer Selbstmord, um nicht die Karriere zu gefährden. So wirft er nach drei Monaten dem Staat den Bettel vor die Füße. Frau Emilie rast, denn sie denkt nur, kann nur denken an die Zukunft ihrer vier Kinder, an die eigene Zukunft. Laute Szenen könnten den Feinnervigen, nervös Reizbaren zermürben: es ist die „trostlose Zeit". Aber: „Leben heißt überwinden lernen!" Mag der Roman, der dem Dichter jetzt „mein einziges Glück", „meine einzige Erholung" bedeutet, mag „Vor dem Sturm" gegen die Gesetze epischer Kunst verstoßen - Eines ist vollendet: die Menschendarstellung! Unverwischbar bleiben dem Leser die Gestalten des Werks vor Augen, als sei er ihnen leibhaft begegnet.
Noch ist erst die Bresche geschlagen, durch die er, zögernd, eindringt in das ihm „von Uranfang bestimmte" Arbeitsgebiet. 1878 ist „Vor dem Sturm" im Vorabdruck und als Buch erschienen. Im Frühjahr 1879 wird ein großer gesellschaftskritischer Roman „Allerlei Glück" geplant, der im Berlin der „Gründerjahre" spielen soll. „Könnten Sie darüber mit den Chefs der Firma sprechen?", schreibt an Gustav Kar- peles, den Chefredakteur von „Westermanns Monatsheften", „Das Ganze: der Roman meines Lebens oder richtiger die Ausbeute desselben... Vor drei Jahren kann er nicht fertig sein, und ich suche nun eine gute Stelle dafür. Unter 5000 Talern kann
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