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ich ihn nicht schreiben ... Kann ich es nicht kriegen, nun, so muß die Welt sehen, wie sie ohne meinen Roman fertig wird." Die 5000 Taler sind nicht zu kriegen, und der Roman bleibt Vision. Aber Manuskriptfragmente sagen Bedeutsames aus: „Es gibt allerlei Glück", sagt „Onkel Wilhelm", „und es gibt allerlei Moral. Dies steht im nächsten Zusammenhang. Denn an unserer Moral hängt unser Frieden, und an unserem Frieden hängt unser Glück. Aber unsere Moral ist so mannigfaltig wie unser Glück . . . Man schläft am besten auf dem Kissen, das einem das Herkommen und die Gutheißung stopft. Ich werde niemandem den Rat der Auflehnung dagegen erteilen. Aber wenn er sich; ohne mich zu fragen, bereits aufgelehnt hat. ..' so mess' ich den Fall nicht mehr mit der allgemeinen Konventionselle aus, nicht mehr mit dem Herkömmlichen, Bequemen, Landläufigen, sondern sehe mir den Fall an und beurteile ihn nun mit der mir persönlich ins Herz geschriebenen Moral und nicht mit der öffentlichen." In dieser „entscheidenden Unterhaltung", schreibt Fontane .werde „der Plan des Romans dargelegt". Darüber hinaus aber gibt diese „Unterhaltung" den Grundriß aller seiner künftigen Berliner Romane.
Der werdende Romancier fühlt sich noch nicht fest im Sattel, versucht es zunächst mit kleineren Erzählungen: Handgelenksübungen. „Schach von Wuthenow" greift tiefer: Gesellschaftskritik, Kritik am vermoderten „Codex falscher Ehre". Den Rohstoff gab ihm „mit allen Details" der Bericht einer befreundeten Stiftsdame: In einem Augenblick des Sinnenrauschs hat der schöne Garderittmeister von Schach, der die schöne Frau von Carayon umwirbt, deren Tochter, die durch Blatternarben entstellte, dennoch reizvolle Victoire, verführt. Durch Vermittlung der Mutter wird er vom König zur Heirat gezwungen und erschießt sich sofort nach der Trauung, weil er den Spott der Kameraden nicht ertragen könnte, weil das Offizierskorps, der Adel, „statt der Ehre nur noch den Dünkel und statt der Seele nur noch ein Uhrwerk hat - ein Uhrwerk, das bald genug abgelaufen sein wird".So resümiert eine Gestalt des Romans. Zum letztenmal hat der Dichter seine Erkenntnis der Untergangsreife, der Hohlheit und Brüchigkeit herrschender Gesellschaftsordnung in historisches Kostüm gehüllt, das der Zeit vor dem Zusammenbruch Preußens 1806.
Schon bewährt sich, tastend zunächst, die nur ihm eigene, die Fontanesche Darstellungsweise. Durch irgendeinen typischen Charakterzug gelangt er zur Gestaltung seiner Menschen. Das Geschehen ergibt sich vornehmlich aus den Dialogen. Immer wieder gelingt es ihm, im Dialog die Behauptung des einen Sprechers durch die Entgegnung des anderen zu widerlegen oder so auszugleichen, daß es dem Leser überlassen bleibt, die unausgesprochene Wahrheit selber zu entdecken. Einfach, unaufdringlich wird erzählt, da und dort sind Vorausdeutungen auf Kommendes eingestreut. Der Dichter distanziert sich von seinen Gestalten, bleibt kühler Beobachter, der weiß: ein Letztes, Tiefstes soll den verhüllenden Schleier tragen. So beherrscht er die große Kunst des Verschweigens, die seinen Romanen die dramatische Spannung verleiht.
Kritiken über „Vor dem Sturm" hatten freundlich die Verwandtschaft mit den „Wanderungen" betont, nur den großen „epischen Zug" vermißt, der die einzelnen, an sich reizvollen, gleichsam bailadenhaften Genrebilder zum organischen Ganzen zusammenschlösse. Das leuchtet ein: Jetzt muß der Dichter erleben, daß ein Rezensent am „Schach" sein „besonderes Talent für das Gegenständliche" lobt, z. B. die Schilderung des Schlosses Wuthenow. Aber: „Schloß Wuthenow existiert überhaupt nicht, hat nie existiert". „Mein Metier besteht darin, bis alle Ewigkeit hinein .märkische Wanderungen' zu schreiben", beklagt er sich bitter. An seelischen Abgründen war man blind vorbeigegangen.
Noch während der Arbeit an „Schach" hatte sich in ihm der erste Roman aus der zeitgenössischen Berliner Gesellschaft geformt, greift er eine kurz zurückliegende Skan-
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