vallerieoffizier Botho von Rienäcker und der rechtschaffenen Plätterin Lene Nimptsch. Die zeitbedingte Konvention fordert Verzicht, überdies muß Botho angesichts der- bescheidenen pekuniären Verhältnisse seiner Familie eine reiche Verwandte heiraten, die „spielrige", ein bißchen alberne, immer vergnügte „liebe Puppe", mit der er ein leeres 'Leben führen wird, ohne Lene vergessen zu können. Lene selbst kämpft still ihren Kampf aus, folgt später, nach dem Tode ihrer Mutter, der Werbung eines viel älteren, in seiner herrnhutischen Frömmigkeit vertrauenswürdigen Mannes. Eine Alltagsgeschichte? Aber nicht die spärliche Handlung fesselt den Leser, ihn umspinnt der Zauber einer unvergleichlichen Seelenschilderung, die nicht dem scharfen Auge des Beobachters ihr Leuchten verdankt, sondern einem „Gefühl, unendlich süß und unendlich schmerzlich": eben der Stimmung, in der Botho vom Grabe der Mutter Lenes in sein Alltagsheim zurückkehrt. Hat eine Sehnsucht, ein schmerzlich-süßes Erinnern des Dichters Feder beflügelt?
„Tausend Finessen" hat er „dieser von mir besonders geliebten Arbeit mit auf den Weg gegeben". Wird man erfühlen, was er da Bild werden ließ? Daß Turgenjew, den er bewunderte, „so etwas wie einen photographischen Apparat in Aug und Seele habe", schrieb er 1881 nach der Lektüre von „Väter und Söhne", die nüchterne Beobachtungsgabe bewundernd. Jetzt heißt es: „Meine ganze Produktion ist Psycho- graphie und Kritik, Dunkelschöpfung im Lichte zurechtgerückt". Das umschreibt die Vision, in der er seine Gestalten erschaut, ihr'Wesen erfühlt, um es dann Bild werden zu lassen, aus dem Dunkel ins Licht zu rücken. Die Kritik? „Ja", dankt er dem Chefredakteur der Vossischen Zeitung, „Sie haben es vorzüglich getroffen: ,Die Sitte gilt und muß gelten'. Aber daß sie's muß, ist mitunter hart. Und weil es so ist, wie es ist, ist es am besten: man bleibt davon und rührt nicht dran. Wer dieses Stück Erb- und Lebensweisheit mißachtet - von Moral spreche ich nicht -, der hat einen Knax fürs Leben weg". „Ich Tugendphilister", unterstreicht er, bin durch „Intuition . .. zum Schilderer der Demimondeschaft" geworden, „um nicht blasphemisch zu sagen ,von oben'. Schließlich ist es aber doch nicht so wunderbar damit. Erstlich hat man doch auch in grauer Vorzeit in dieser Welt 'rumgeschnüffelt, und zweitens und hauptsächlichst: alles was wir wissen, wissen wir überhaupt mehr historisch als aus persönlichem Erlebnis". Nun, er hatte wirklich vor seiner Verheiratung ganz intensiv in dieser Welt nicht nur „rumgeschnüffelt". Aber war nicht auch das ein „von Uranfang an Bestimmtes": ein Notwendiges für seine menschliche und dichterische Entwicklung? Ein Dichter kann nun einmal nichts anderes geben als die eigene Individualität. Und die entwickelt sich, prägt sich aus erst unter dem Druck des Lebens, im Wissen um das „Leid des Lebens".
Er gab die eigene Seele in diesem Werk der echten Liebe, aber bürgerliche Kreise, Leser der Vossischen Zeitung, die den Vorabdruck bringt, lehnen die „gräßliche Hurengeschichte" ab. „Empörend", schreibt Fontane dem Sohne Theodor, „ist die Haltung einiger Zeitungen, deren illegitimer Kinderbestand weit über ein Dutzend hinausgeht (der Chefredakteur immer mit dem Löwenanteil) und die sich nun darin gefallen, mir ,gute Sitten' beizubringen. Arme Schächer!" Bewußter als je zuvor hat er Kampfstellung gegen den herrschenden Sittencodex, den Codex falscher Ehre bezogen. „Auch darin hast Du recht", schreibt er dem Sohn, „daß nicht alle Welt,wenigstens nicht nach außen hin, ebenso nachsichtig über Lene denken wird wie ich; aber so gern ich dies zugebe, so gewiß ist es mir auch, daß in diesem offenen Bekennen einer bestimmten Stellung zu diesen Fragen ein Stückchen Wert und ein Stückchen Bedeutung des Buches liegt. Wir stecken ja bis über die Ohren in allerhand konventioneller Lüge und sollten uns schämen über die Heuchelei, die wir treiben, über das falsche Spiel, das wir spielen ... ,Du sollst nicht ehebrechen', das ist nun bald vier Jahr-
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