„Schlüsselroman", er dichtet, ver-dichtet die Ehetragödie des gräflichen Ehepaares Holk auf Holkenäs unweit Glücksburgs.
Sehr anderer Art, Berliner comedie humaine, ist der dritte Roman, der um diese Zeit den Dichter beschäftigt. Er läßt ja seine „Geschichten", wie er einem Frager antwortet, „oft jahrelang lagern", dann treten „Zwischenschübe" ein, und so arbeitet er gleichzeitig an mehreren Werken. „Frau Jenny Treibel" ist Genrebild aus der zeitgenössischen Bourgeoisie, die Kommerzienratsgattin „nee Bürstenbinder", die in ihrer Jugend Grünzeug, vielleicht auch Sauerkohl verkaufte, ist das „Musterstück einer Bourgeoisie". So nennt sie ihr Jugendfreund, der Gymnasialprofessor Willibald Schimt, der leise Züge Fontanes trägt, so wie seine Tochter Corinna Züge der Tochter des Dichters zeigt. Überlegen, amüsiert, legt der große Menschengestalter den Finger in die eiternde Wunde einer Welt, die schwärmend vom „Höheren", vom „Idealen" redet, aber einzig das Geld anbetet. Auf der Basis schmaler Handlungen entfaltet sich voll die Kunst des Dialogs, eine Gesellschaftssatire, Gesellschaftspersiflage ironisiert die unbewußte Selbstentblößung einer emporgekommenen Kleinbürgerwelt, der drei Menschen aus dem guten alten Bürgertum kontrastierend gegenüberstehen. Nicht zufällig, schicksalsmäßig vielmehr, fragt Fontane mitten in der Arbeit an diesen Romanen im Salon der Gattin des Besitzers der Vossischen Zeitung, Frau Lessing, nach dem Freiherrn von Ardanne, der früher gelegentlich dort verkehrte, und hört so von dem Duell, das im November 1886 in Bonn zwischen Ardenne und dem Amtsrichter Emil Hartwich, mit tödlichem Ausgang für letzteren, stattgefunden hatte. Eigentliches Opfer blieb die in den Abgrund gesellschaftlicher Verachtung gestoßene, schuldig geschiedene Frau Else von Ardenne, geborene Freiin von Plotho. Frau Lessing erzählt dem Dichter „die ganze ,Effi Briest'-Geschichte, und als die Stelle kam, zweites Kapitel, wo die spielenden Mädchen durchs Weinlaub in den Saal hineinrufen,- „Effi, komm' " - im Munde der Frau Lessing wird es gelautet haben: „Eli, komm' " - „stand mir fest: ,Das mußt du schreiben'. Auch die äußere Erscheinung Effis wurde mir durch einen glücklichen Zufall an die Hand gegeben. Ich saß im Zehnpfundhotel in Thale .., als ein englisches Geschwisterpaar, er zwanzig, sie fünfzehn, auf den Balkon hinaustrat und drei Schritt vor mir sich an die Brüstung lehnte, heiter plaudernd und doch ernst. Es waren ersichtlich Dissenterskinder, Methodisten. Das Mädchen war genau so gekleidet, wie ich Effi in den allerersten und dann auch wieder in den allerletzten Kapiteln geschildert'habe: Hänger, blau und weiß gestreifter Kattun, Ledergürtel und Matrosenkragen. Ich glaube, daß ich für meine Heldin keine bessere Erscheinung und Einkleidung finden konnte, und wenn es nicht anmaßend wäre, das Schicksal als ein für jeden Krimskrams zu Diensten stehendes Etwas anzusehen, so möchte ich beinah sagen: das Schicksal schickte mir die kleine Methodistin."
Jahre sind vergangen seit dem letzten Aufenthalt in Thale; in dem Augenblick aber, in dem er vom Schicksal der schuldig geschiedenen Frau von Ardenne erfährt - dies Schicksal gleichsam ihm widerfährt -, taucht aus den Untergründen der Erinnerung das Bild des Kindes im Hängerkleid empor - diesem schroffsten Gegensatz zeitgenössischer Mode mit geschnürter Wespentaille und Tournüre -, sieht er im inneren Auge das Opfer eines Verhängnisses, das dieses Kind um alle in ihm ruhenden Ent- wicklumgsmöglichkeit betrügt, es versklavt und so in eine „Schuld" hineinstößt, die es nicht als Verschulden empfinden kann, weil es naturhaft, kindhaft, in Unschuld dem realen Leben fremd bleibt. Und diesem Kinde, das aller Glanz der Jugend umstrahlt, fliegt spontan das Herz des fast Siebzigjährigen zu. Was liegt daran, daß er - vielleicht schon heute erfährt, wie die gesellschaftlich „gefallene" Frau-von Ardenne das über sie verhängte Anathem überwand, als „ausgezeichnete Pflegerin in einer großen Heilanstalt" wirkt, „ganz in der Nähe von Berlin". Seine Effi, die nie Gesell-
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