erklärt einen ehrlich, aufrichtig und gern für festberechtigt? .Siebzig Jahre kann jeder werden, wenn er einen leidlichen Magen hat. Also, was soll der Unsinn? Der Kerl ist schon so eingebildet, und eigentlich ist es doch ein Jammer mit ihm; er hat nicht mal studiert'", schreibt er dem Chefredakteur. Und zwei Tage später; „... Ich erwarte keine Liebe. Ich will einsam begraben sein. Ich will auch keine Kränze haben und verzichte auf den ganzen Klimbim ... Man lebt sich selbst, man stirbt sich selbst. .". Aber Ausweichen ist unmöglich, und so kommt es, wie es kommen muß. „Das moderne Berlin hat einen Götzen aus mir gemacht; aber das alte Preußen, das ich durch mehr als vierzig Jahre verherrlicht habe, dies ,alte Preußen' hat sich kaum gerührt und alles (wie in so vielen Stücken) den Juden überlassen“. Ironisch schildert ein Augenzeuge (Eduard Engel, dem Fontane einst mit Tränen für seine verständnisvolle Kritik von „L'Adultera" gedankt hatte), wie viele der etwa vierhundert Anwesenden nur gekommen waren, um „durch die Vertilgung teurer Speisen und noch viel teurerer Weine ihre verständnisvolle Begeisterung zu bekunden". Bitter die Erfahrung, wie wenig die meisten der Festgäste von ihm wissen: „Archibald Douglas" wird gesungen, und mitten im Vortrag, bei einer Kunstpause, klatscht ein Teil der Gäste Beifall in der Annahme, es sei der Schluß. „Der Dichter konnte durchaus nicht wieder in seine vorige Stimmung zurück. Seine Blicke irrten trostlos über die noch immer beglückte Versammlung ... und senkten sich beschämt auf den Teller, inmitten dessen ein einsames blutrotes Radieschen lag, denn ihm war der Mund trok- ken und bitter geworden . ..". Bitter auch, daß der märkische Adel den Schöpfer der „Wanderungen" durch ostentatives Fernbleiben brüskiert hat!
1890 entsteht ein „Brouillon" von „Effi Briest", das später ausgearbeitet werden soll: „Zurechtrücken" der „Dunkelschöpfung" im „Lichte" der Kritik in „grenzenloser Düftelei".
Nie hat Fontane seine Frauenromane — um solche handelt es sich ja seit „L'Adultera" — besser charakterisiert als mit den Sätzen; „Das Natürliche hat es mir seit langem angetan, ich lege nur darauf Wert, fühle mich nur dadurch seit langem angezogen, und' dies ist wohl der Grund, warum meine Frauengestalten alle einen Knax weg haben. Gerade dadurch sind sie mir lieb, ich verliebe mich in sie, nicht um ihrer Tugenden, sondern um ihrer Menschlichkeiten, d. h. um ihrer Schwächen und Sünden willen".
„Effi Briest" nun will Roman einer Ehe werden, die dem „Natürlichen" - der Natur - schroff widerspricht. Erst 17jährig ist Effi, viel zu unreif für das Erleben wirklicher Liebe, als der einst abgewiesene Liebhaber der Mutter, Landrat Baron Innstetten, um das Kind wirbt. Mama Briest sieht in dieser Werbung - es wird nicht ausgesprochen, bleibt dem Tastsinn des Lesers überlassen - eine ihr selber dargebrachte Huldigung ; Papa Briest gibt sich gewohntermaßen mit der Entscheidung seiner Frau zufrieden, obwohl er die eigene Freiheit auf eigener Scholle der Stufenleiter einer Beamtenkarriere weit überlegen sieht. Der Werber dagegen fühlt sich auf den ansteigenden Sprossen dieser Leiter durchaus wohl. Im Grunde, nur mit veränderten gesellschaftlichen Bedingungen, tut sich die gleiche Situation auf, in der die 17jährige Cécile von Zacha, von der eigenen Mutter verkuppelt, in ihr Schicksal hineinschlitterte. Im Gegensatz aber zu der verhaltenen Resignation und Müdigkeit der gealterten Cécile, strahlt Effis Jugend den bezwingenden Zauber aus, den die spontane Vision dieses Menschenkindes beim Anhören des Berichts der Frau Lessing, verbunden mit der ebenso spontan aufquellenden Erinnerung an das Hängerkleid der kleinen Methodistin in Thale -vor dem inneren Auge des Dichters beschwor - einen Zauber, der, vielleicht, einer „unendlich süßen und unendlich schmerzlichen“ Erinnerung entsprang. So ersteht in der Phantasie des Dichters eine Gestalt, die all seine früheren Frauen-
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